Das Volk der Hamar 1 |
Die Hamar
Die
Hamar (oder auch Hamer, Amar, Amer) sind eine Bevölkerungsgruppe, die in der
Omo-Region im Südwesten von Äthiopien lebt. Die Sprache der Hamar ist
Hamer-Banna und gehört zu den südomotischen Sprachen. Sie wird auch von den
Banna gesprochen, obwohl diese beiden Gruppen ethnisch verschieden sind.
Unmittelbare Nachbarn sind die Bashada und Banna, deren Kultur mit den Hamar eng
verbunden ist, sowie die Nyangatom, Dassanetch, Tsamay und Arbore.
Gesellschaft und Kultur
Die Hamar leben wie die meisten pastoralen Gruppen der Region vor allem von
ihren Herden (Milch, Fleisch, Blut) sowie in der Regenzeit angebauter Hirse und
anderen Landwirtschaftsprodukten. Rinder und Ziegen sind Lebensgrundlage und
zugleich Statussymbol der Menschen. Zur Gewinnung von Blut als Nahrungsmittel
wird dem Rind mit Pfeil und Bogen in die Halsschlagader geschossen und das Blut
in einem Kübel aufgefangen.
Das Land ist Eigentum des gesamten Stamms, dessen Ressourcen wie Baustoffe oder
Feuerholz frei für individuelle Zwecke genutzt werden können. Während die Frauen
vor allem für landwirtschaftliche Tätigkeiten zuständig sind, arbeiten die
Männer in der Regel als Hirten. Außerdem betreiben die Männer Bienenhaltung. Der
gewonnene Honig wird vor allem zu besonderen Anlässen wie dem Sprung über die
Rinder gewonnen.
Statt Kaffee trinken die Hamar einen tee-ähnlichen Aufguss aus der Hülse der
Kaffeebohne, der bei einer morgendlichen Versammlung zunächst über die
Anwesenden gespuckt wird, um Gesundheit und Glück für den Tag zu erhalten. Auch
das Brauen von Bier, vor allem für Festlichkeiten, ist bei den Hamar üblich.
Als Krieger und Wachen führen die Männer in der Regel eine Kalaschnikow.
Religiös sind die Hamar in keine Weltreligion einzuordnen. Sie haben einen
Glauben an die treibende Kraft barjo (auch bairo). Durch Gruppengesänge und
-gespräche wird versucht, das barjo zu rufen. Durch Missionen wird versucht, den
Hamar in den größeren Siedlungen den christlichen Glauben zu lehren. Dies hat
jedoch wenig Erfolg, da dieser Glaube nicht in die soziale und kulturelle
Konstellation passt.
Der Sprung über die Rinder
Zu den bedeutendsten Ritualen der Hamar gehört das Initiationsritual mit der
Bezeichnung „Der Sprung über die Rinder“, das mittlerweile auch für Touristen
initiiert wird. Die Festlichkeiten werden durch Tänze der weiblichen Verwandten
des zu initiierenden Mannes eingeleitet. Begleitet wird das Ritual zudem von
bemalten Männern, denen magische Kräfte zugeschrieben werden. Bei dem Höhepunkt
dieses Rituales springt ein junger, uninitiierter Mann (ukuli) viermal nackt
über eine Reihe von Rindern, um heiratsfähig und erwachsen zu werden. Die
Ehefrau des Mannes wird allerdings in der Regel von seiner Familie bestimmt. Bei
dem Ritual springt der Mann mit Anlauf auf ein Rind und läuft über die Rücken
weiterer in einer Reihe stehender Rinder hinweg. Fällt er dabei herunter, gilt
dies als große Niederlage und verwehrt ihm die Akzeptanz als Stammeskrieger. Ein
erfolgreicher Sprung dagegen ist Voraussetzung für die Heirat und das Bekommen
von Kindern. Die Verwandten des Mannes stehen dabei mit dem Rücken gen Westen,
um somit Böses abzuwenden.
Bestandteil des Brauchs ist das Auspeitschen der Mädchen durch die Junggesellen,
die den Sprung über die Rinder bereits erfolgreich absolviert haben. Während der
Zeremonie fordern die Frauen als Zeichen ihrer Verbundenheit und Zuneigung die
Männer über mehrere Stunden lang wiederholt dazu auf, weiter Peitschenhiebe
auszuführen, und blasen nach dem Schlag ein Blechhorn. Das Ritual gilt bei
europäischen Beobachtern wegen dessen Brutalität und subjektiv wahrgenommener
Unmenschlichkeit als äußerst umstritten. Seine Abschaffung wird von vielen
Außenstehenden gefordert, von den Hamar allerdings allerseits abgelehnt, da es
unabdingbar mit dem Sprung über die Rinder verbunden ist und eine wichtige
Tradition für das Volk darstellt. Die dabei entstehenden Narben werden als
Trophäen betrachtet. Das Auspeitschen ist für Männer als Strafe möglich, falls
sie beim Sprung über die Rinder zu Boden fallen oder falls ihnen beim Hüten eine
Ziege oder ein Rind verloren geht.
Schmuck und Skarifikationen
Bedeutend in der Gesellschaft der Hamar ist deren traditionelle Haartracht. Dazu
werden die Haare der Männer mit Ton oder Lehm eingerieben und die getrocknete
Masse teilweise mit hineingesteckten Straußenfedern oder Ähnlichem geschmückt.
Frauen tragen dünn geflochtene halblange Zöpfe.
Die Hamar tragen traditionell geometrisch angeordnete Schmucknarben. Geschnitten
werden die Narben in mehreren Sitzungen von einem speziellen Meister. Dazu wird
die Klinge zunächst an einem Stein geschärft. Je nach Körperstelle wird die Haut
mit Hilfe eines Assistenten zu einem waagerechten Wulst gehalten und dieser
senkrecht eingeschnitten. Nach vier bis fünf Schnitten in einer Reihe werden
diese mit Hilfe eines Dorns jeweils angehoben und erneut seitlich
eingeschnitten. Die einzelnen Schnitte haben eine Länge von etwa 0,5 bis etwas
über einem Zentimeter. Das Ritual führt häufig zu einem hohen Blutverlust und
macht eine entsprechende Regenerationsphase erforderlich.
Die Narben gelten als Schönheitsideal und befinden sich vor allem auf dem Rücken
und den Armen. Bei Männern symbolisieren sie Erfolge bei der Jagd und der
Verteidigung des Stammes. Unter ihnen besteht dennoch eine Art des Wettbewerbs
zum Erhalt neuer Narben. Narben auf der Brust sind Männern vorbehalten, die
bereits Menschen feindlicher Stämme getötet haben. Allerdings ist das Schneiden
derartiger Tötungs-Symbolnarben in Äthiopien mittlerweile gesetzlich unter
Freiheitsstrafe verboten.
Verheiratete Frauen tragen stets spezielle Ehe-Halsringe, die erst mit Geburt
des ersten Kindes abgenommen werden. Außerdem schmücken sich die Hamar
traditionell mit Ohrringen, die in gestochenen Ohrlöchern getragen werden.
Probleme
Die Lebensgrundlage der Hamar und anderer indigener Völker des Unteren Omo-Tals
wird durch den Bau des Staudamms Gibe III bedroht. Der Gilgel Gibe III Staudamm
soll den südwestlichen Teil des Omo-Flusses aufstauen und somit den natürlichen
Flutzyklus des Flusses beenden, den die indigenen Völker zum Anbau von
Lebensmitteln nutzen. Das Projekt wird nicht nur von Menschen- und
Umweltschützern kritisiert, sondern auch von der UNESCO, da der Damm das
Weltkulturerbe des Unteren Omo-Tals zerstört.
Darüber hinaus verpachtet die Regierung Äthiopiens inzwischen große Teile des
fruchtbaren Landes der Omo-Völker an ausländische Unternehmen und eigene
Staatsbetriebe. Etwa 245.000 Hektar Land sollen verpachtet und die Menschen
umgesiedelt werden. Über 90.000 Indigene sind von diesen Maßnahmen bedroht, denn
sie verlieren dadurch wichtiges Farmland und können ihr Vieh nicht mehr
versorgen. Berichten zufolge geht die Regierung massiv gegen Kritik der
indigenen Völker an dem Land Grabbing vor.
Quelle: https://de.wikipedia.org/wiki/Hamar_(Volk)