Deshnoke |
Deshnoke oder Deshnok ist eine Kleinstadt mit ca. 20.000 Einwohnern im Norden des indischen Bundesstaates Rajasthan. Der Ort liegt im Norden der Wüste Thar in einer Höhe von ca. 275 m ü. d. M. Die Stadt Bikaner liegt ca. 30 km (Fahrtstrecke) nördlich. Das Klima von Deshnok ist warm bis heiß und trocken; der für indische Verhältnisse außerordentlich geringe Regen von unter 250 mm/Jahr fällt eigentlich nur während der sommerlichen Monsunzeit.
Wirtschaft
Im Umland von Deshnoke wird in geringem Maße Viehzucht (Schafe, Ziegen)
betrieben; die Bewirtschaftung von Feldern ist wegen der geringen Regenfälle
kaum möglich. Die Einwohner leben hauptsächlich als Tagelöhner und Kleinhändler
sowie von kleineren Dienstleistungen für Pilger und Touristen, die den über die
Region hinaus bekannten Karni-Mata-Tempel besuchen.
Einzige Sehenswürdigkeit des Ortes ist der mehrere hundert Jahre alte
Karni-Mata-Tempel (auch „Ratten-Tempel“), dessen heutiger Zustand jedoch –
wie die zahlreichen bengalischen Dächer zeigen – im Wesentlichen dem 17. bis 19.
Jahrhundert entstammt. Der Innenhof des Tempels ist zum Schutz der hier lebenden
und von Pilgern gefütterten Ratten vor Raubvögeln mit Drahtnetzen überspannt.
Gewidmet ist dieser hinduistische Tempel Karni Mata, der
Erscheinungsform der Göttin Durga. Über die Grenzen von Indien hinaus ist er vor
allem als heiliger Rattentempel bekannt. Im Tempel leben tausende Ratten, die
von den Besuchern mit mitgebrachten Speisen und Getränken umsorgt werden.
Karni Mata
Karni Mata soll im 14. und 15. Jahrhundert gelebt haben und noch zu Lebzeiten
als Heilige verehrt worden sein. Sie wurde die Schutzgöttin der Rajputen,
besonders der Fürstenfamilie von Bikaner. Nach einer Legende sei ihr der tote
Sohn einer Fürstenfamilie gebracht worden, um ihn wieder zum Leben zu erwecken.
Daraufhin habe sie in Trance den Totengott Yama um die Herausgabe des
verstorbenen Kindes gebeten. Yama habe jedoch geantwortet, er könne ihr die
Seele nicht übereignen, da das Kind schon wiedergeboren sei. Daraufhin habe
Karni Mata geschworen, dass niemand ihres Volkes je wieder das Totenreich des
Gottes Yama betreten würde, und die verstorbenen Seelen nach ihrem Tod als Ratte
wiedergeboren würden. Wenn die verstorbenen Seelen das Leben als Ratte hinter
sich hätten, sollten sie als Charans (Barden) wiederauferstehen. In der
Kulturgeschichte der Rajputen waren fahrende Sänger schon immer hochangesehene
Personen und wurden verehrt.
Der Tempel
Die Geschichte des Tempels reicht etwa 600 Jahre zurück. Am Eingang befinden
sich Hunderte aus Stein erbaute Ratten. Die reich verzierte silberne Eingangstür
und die kunstvoll geschmückten Silber- und Goldverzierungen sowie die
Renovierung des Tempels und Erweiterung waren eine Spende des Maharajas Ganga
Singh (1880–1943). Der Zugang ins Allerheiligste ist nur den Hindus erlaubt.
Unter dem goldenen Baldachin befindet sich die Statue von Karni Mata. Davor
werden den Ratten Speisen und Wasser in silbernen oder bronzenen Schalen
serviert.
Die heiligen Ratten
Nach groben Schätzungen leben etwa 20.000 Ratten in dem Tempel. Wie in
hinduistischen Tempeln üblich, müssen die Besucher vor dem Betreten ihre Schuhe
ausziehen. Da der Tempel durch die Ratten auch viele Touristen anlockt, die
oftmals eine gehemmte bzw. ängstliche Einstellung zu Ratten haben, dürfen diese
jedoch ihre Strümpfe anbehalten. Die Besucher werden von den Priestern gebeten,
sich vorsichtig im Tempel zu bewegen. Die Ratten sind nicht scheu und nähern
sich den Besuchern sehr nahe. Läuft eine Ratte über die Füße, bedeutet das
Glück. Für Anhänger von Karni Mata ist es eine besondere Ehre, Kontakt zu den
seltenen weißen Ratten aufzunehmen. Mit Leckereien verweilen sie stundenlang an
den Mauerritzen und versuchen eines dieser seltenen Exemplare anzulocken. Wird
eine Ratte aus Versehen tödlich verletzt, so ist der Besucher angewiesen, das
tote Tier außerhalb des Tempels zu begraben und dem Tempel eine Spende, in Form
einer silbernen oder goldenen Ratte, darzubringen.
Die Hindus unterscheiden die Ratten im Tempel und außerhalb des Gebäudes.
Während die Ratten im Tempel als heilig angesehen werden, werden die Ratten
außerhalb als Schädlinge gesehen. Die Ratten werden gejagt und weit entfernt
wieder ausgesetzt. Getötet werden sie nicht. Zum Schutz der heiligen Ratten vor
Fressfeinden aus der Luft ist nach oben hin der offene Tempelbereich durch ein
Netz abgesichert. Die Gläubigen essen von den Speisen und trinken Wasser oder
Milch aus den Schalen, von denen zuvor die Ratten gegessen oder getrunken haben.
Trotz dieses für Touristen befremdlichen Vorgehens, ist es bis heute noch zu
keiner Epidemie gekommen.
Der Tempel darf eigentlich nur barfuß betreten werden; für Touristen gibt es eine Ausnahme: sie dürfen die Strümpfe anbehalten, die dann anschließend entsorgt werden müssen, da man über den durch Ratten-Exkremente verunreinigten Tempelboden läuft.
Videoclip: Karni-Mata-Tempel
© Harald Scheffler
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