Quelle: Der Große Polyglott Reiseführer Japan, 7. Aufl. 1979/80, S.64-68:
Sitten und Umgangsformen
Wenn sich auch in den letzten Jahren die Sitten und Gewohnheiten des Japaners, vor allem des Städters, jenen des Westens angepaßt haben, so sollte man als ausländischer Besucher doch zumindest jene japanischen Sitten kennen, die einen unumstößlichen Bestand japanischer Höflichkeit darstellen.
Viele japanische Umgangsformen sind den westlichen entgegengesetzt. Dies zeigt sich u.a. bei den Frauen, die zwar dem Buchstaben des Gesetzes nach mit den Männern gleichberechtigt sind, aber keinerlei Vorrechte genießen. So verbeugt sich die Frau zuerst vor dem Mann, sie hilft ihm in den Mantel, hält ihm die Tür auf usw. Die Art der Amerikaner, Frauen mit besonderer Höflichkeit und Galanterie zu begegnen, stößt hier auf Unverständnis. Der Japaner findet einen Mann, der einer Frau nicht befehlen kann, zumindest kurios. Man tut daher als Ausländer gut daran, japanischen Frauen keine Komplimente zu machen.
Japanische Frauen leben verhältnismäßig zurückgezogen. Deshalb spielen Frauenfreundschaften eine große Rolle im alltäglichen Leben. Nur junge Japaner gehen mit ihren Ehefrauen aus. In ländlichen Gemeinden, aber auch in „besseren Kreisen“, ist es immer noch Sitte, daß die Eltern (oder Vermittler) den Ehepartner für die heiratsfähigen Kinder aussuchen.
Höflichste Form des Grußes ist die Verbeugung. Wenn einem nicht die Hand entgegengestreckt wird, sollte man dies als Ausländer nie selbst tun. Jüngere Leute und Frauen verbeugen sich zuerst.
Die Feinfühligkeit und Höflichkeit des Japaners wird von westlichen Besuchern zu Unrecht oft als unaufrichtig empfunden. Wenn ein Fremder ein falsches japanisches Wort sagt oder es falsch ausspricht, wird ihn kein Japaner verbessern. Im Gegenteil: Der Japaner wird das Wort - aus Höflichkeit - ebenso falsch aussprechen. Die japanische Höflichkeit verbietet ihm, den Gast durch Widerspruch zu verletzen.
Aus den gleichen Motiven wird der Japaner dem fremden Gast immer mit einem Lächeln begegnen. Er lächelt auch dann, wenn er etwas Trauriges oder Unangenehmes mitteilen muß. Man darf dieses Lächeln dann nicht mißverstehen. Für den Japaner ist das Lächeln immer das „angenehme Gesicht“, das aus Rücksichtnahme auf den Nächsten gezeigt wird.
Die Japaner leben eng gedrängt auf relativ kleinem Raum zusammen. Alleinsein und der Begriff „privat“ ist vielen fremd. Aus diesem Grunde haben sie eine für den westlichen Besucher fast unglaubliche Rücksichtnahme und Geduld entwickelt. Wer ungeduldig ist, „verliert sein Gesicht“. Man sollte auch als Gast nie seinen persönlichen Ärger durch Gesichtsausdruck verraten. Gefühlsausbrüche sind immer unangebracht.
Ein Japaner spricht nie von sich selbst. Man sollte ihn auch nie mit eigenen Problemen belästigen. Er ist den Schwächen und Sorgen der anderen gegenüber vollkommen blind, taub und stumm. Diese Grundregel für den Umgang in der Gesellschaft wird bildhaft ausgedrückt durch die drei Affen von Nikko: Nichts Unangenehmes sehen, nichts Unangenehmes hören, nichts Unangenehmes sagen.
Der Japaner vermeidet stets ein glattes Nein. Er ist eher für die indirekte Art des Mitteilens. Er fühlt sich deshalb auch vor den Kopf gestoßen, wenn man etwa seine Einladung rundweg - aus welchen Gründen auch immer - ablehnt. Der Japaner sagt schon aus Höflichkeit viel lieber ja. Man muß sich aber ein japanisches „Ja“ erst bestätigen lassen, ehe man es als gegeben hinnimmt. Die Japaner geben nämlich lieber eine wertlose Zustimmung, als daß sie den anderen kränken.
Japanische Männer genießen gern die Freuden des Alkohols. Im Kreise von Einheimischen - etwa in Bars oder Bierhallen - wird man oft die Erfahrung machen, daß Japaner schon nach wenig Alkoholgenuß die „Lotosfarbe“ (gerötetes Gesicht) annehmen. Der Alkohol wirkt beim Japaner viel schneller als beim Europäer. Deshalb sollte man japanische Bekannte oder Freunde nie zum Trinken animieren. Betrunkene werden in Japan sehr nachsichtig behandelt. Fremde allerdings verlieren dabei sofort ihr „Gesicht“ und werden nie mehr ernstgenommen. Das ist vor allem für Geschäftsreisende peinlich.
Viele junge Japaner sind von der Spielleidenschaft besessen. Das zeigt sich in den für europäische Begriffe unvorstellbar vielen Spielautomaten-Hallen, die es in allen Städten gibt. Dort sieht man die Japaner vor dem „Pachinko“, einem Glücksspielautomaten, der vom Spieler nicht zu beeinflussen ist. Eine „Pachinko“-Halle ist ein guter Platz für junge Ausländer und Studenten, die mit jungen Japanern bekannt werden wollen.
KLEIDUNG
Die Kleidung des Japaners ist immer unauffällig und geradezu peinlich korrekt. Konservative Männer tragen komplette Anzüge und gehen nur in den heißen Monaten ohne Sakko auf die Straße; dann allerdings nur im weißen (auch kurzärmeligen) oder pastellfarbigem, gestreiften Hemd und meist mit Krawatte. Bunt gemusterte „Freizeithemden“ werden nur von jüngeren Männern getragen.
Von den
japanischen Frauen kann man das nicht behaupten. Leider wird der Kimono, der
ihnen ausgezeichnet zu Gesicht steht und den sie auch mit un-
nachahmlicher Grazie und Eleganz zu tragen verstehen, immer mehr von der
westlichen (Alltags-) Kleidung verdrängt. Sandalen werden viel getragen. Pelze
sind sowohl bei Frauen, als auch bei Männern so gut wie unbekannt. In Orten, die
nicht oft von westlichen Touristen besucht werden, erregen Männer mit Hut oft
Heiterkeit.
Wer
Privatwohnungen, Tempel und Schreine besucht, die nicht in Straßenschuhen
betreten werden dürfen, sollte immer ein
Paar dicke Socken zum Überziehen bei sich tragen (sie sind in jedem Kaufhaus
sehr billig zu haben). Löcherige Socken bei Touristen geben Anlaß zu großer
Heiterkeit. Die „Schuhakrobatik“ fällt (besonders älteren Touristen) leichter,
wenn man Slippers oder Sandalen (keine Schnürschuhe) trägt.
Frauen in kurzen oder langen Hosen erregen Aufsehen. Eben- so unangebracht sind Shorts bei Männern.
ZU BESUCH BEI EINER JAPANISCHEN FAMILIE
Schuhe und
Mäntel müssen vor dem Betreten der Wohnung ausgezogen werden. Beim Ausziehen der
Schuhe wendet man dem Gastgeber nie den Rücken zu.
Die Schuhe werden mit den Spitzen zur Wohnungstür (Ausgangstür) abgestellt. Beim
Verlassen der Wohnung zieht man den Mantel erst im Hausflur oder auf der Straße
wieder an.
Frauen dürfen in keinem geschlossenen Raum ihren Hut aufbehalten. Besser ist es, wenn man überhaupt keinen trägt.
Man schlüpft
aus den angebotenen Haussandalen, bevor man die Strohmatten (Tatamis) im
Wohnzimmer betritt. Es gilt als höflich, beim Betreten des Zim-
mers sofort das Kakemono (Rollenbild), das im Tokonoma (Alkoven) hängt, zu
bewundern.
Wenn Tee serviert wird, bittet man nur dann um eine zweite Tasse, wenn der Tee
nicht zu abscheulich schmeckt.
Man „sitzt“, indem man niederkniet und sein Gesäß auf die Fersen setzt. Es ist für Europäer unvermeidlich, daß dabei die Beine einschlafen. Man hilft sich deshalb mit dem angebotenen Zabuton (ein weiches Kissen), das man nach Belieben als Sitzstütze verwendet. Das Niedersetzen mit gekreuzten oder vor sich hingestreckten Beinen kommt einer Beleidigung des Gastgebers gleich. Lieber verlange man ein zweites Kissen. (Frauen fühlen sich in so einem Fall im „Midi“ wohler als im „Mini“.)
Der bescheidenste Sitzplatz ist jener, der der Tür am nächsten ist; als Ehrenplatz gilt der, bei dem man mit dem Rücken zum Rollenbild sitzt.
Wenn man zwischen 11 und 14 Uhr oder nach 18 Uhr eingeladen wird, so gilt die Einladung - auch wenn es nicht eigens erwähnt wird - auch für das Essen.
Es gilt nicht als ungezogen, Wohnungen zu betreten, ohne anzuklopfen. Sie sind meist unversperrt.
Das kleine Geschenk (O-miyge) für die Gastgeberin (oder/und für den Gastgeber), das man mitbringt, überreicht man erst vor dem Verlassen der Wohnung. Es wird nie vor dem Überbringer geöffnet. Als unhöflich wird es angesehen, sich mehr als nur knapp dafür zu bedanken. Geschenke (Schokolade, Zigarren usw.) sollten nie in Mengen von 4 oder 9 oder deren Vielfachen überreicht werden; dies bedeutet Unglück. Das Band über dem Geschenkkarton darf nicht über Kreuz geknüpft sein. Gratulationsgeschenke (Geburtstag, Promotion u.a.) müssen in rotem und weißem Papier verpackt sein (schwarz-weißes Papier bedeutet Trauer). Auch bei Parties werden kleine Geschenke erwartet und erwidert.
Die Gastgeberin und Frauen der Familie begrüßt man nur durch Verbeugen, nie durch Händeschütteln. Auch dem Gastgeber schüttelt man die Hand nur, wenn sie einem gereicht wird. Dies ist jedoch selten der Fall.
Wenn einem die Familienmitglieder erst im Wohnraum vorgestellt werden, steht man nicht auf, sondern verbeugt sich sitzend (man legt dabei seine Hände flach vor seine Knie auf die Sitzmatte). Auch der Gastgeber erhebt sich nicht, wenn der Gast das Wohnzimmer betritt.
Bei der Konversation ist es immer besser, zuzuhören oder selber zu erzählen, als Fragen zu stellen. Wenn man im Laufe der Unterhaltung als „alt“ bezeichnet wird, so ist dies keinesfalls eine Beleidigung. Seltsamerweise bezeichnet man in Japan Männer über 42 und Frauen über 32 bereits als »alt«, obwohl die Lebenserwartung in diesem Land zu den höchsten der Welt gehört (bei Männern liegt sie um 69, bei Frauen um 76 Jahre). Bei der Unterhaltung wird stets gelächelt und mit dem Kopf genickt. Japaner deuten übrigens mit ihrem Zeigefinger auf die Nase (so wie Europäer auf die Brust), wenn sie von sich selber sprechen.
Verläßt der Gastgeber das Zimmer, so bedeutet das, daß der Aufbruch des Gastes erwartet wird.