Nadja Thelen-Khoder
Alle waren Bürger der Sowjetunion –
und noch eine Stele
Im Psychiatriemuseum in Warstein hatte ich in einer Besucherinformation über den „Ehrenfriedhof“ vom 8.9.2015 gelesen, hier lägen „115 Bürger aus Osteuropa, vorwiegend aus Rußland (Soldaten und Zivilisten).
Hingewiesen wurde auf zwei verschiedene Listen, von den die erste ausschließlich sowjetische Bürger enthielt (Lfd. Nr. 1 – 21). Auf der zweiten Liste des Psychiatriemuseums standen als einzige nicht sowjetische Bürger („Rus.“)
Alex Bosalski, der als Pole angegeben wird, und
vier jugoslawische Soldaten, die 1947 in Lippstadt starben und nach Warstein
„umgebettet“ wurden:
Schon nach kurzer Durchsicht der Listen werden also aus den
„115 Bürger(n) aus Osteuropa, vorwiegend aus Rußland (Soldaten und Zivilisten)“
110 Bürger der UdSSR,
1 Pole und
4 Jugoslawen, die eigentlich gar nichts mit Warstein zu tun hatten.
Als „Pole“ wird Alex Bosalski in der zweiten Liste geführt, von dem seine Sterbeurkunde erzählt:
„Nr. 313
Suttrop II, den 22 Juni 1945
Der russische Soldat, Landarbeiter Alex Bosalski, russisch orthodox, wohnhaft in Knesenau,
ist am 22. Juni 1945 um 4 Uhr 10 Minuten in Suttrop im Reserve Lazarett Warstein verstorben.
Der Verstorbene war geboren am 6. Dezember 1915 in Powaschrata.
Vater: -
Mutter: Mariane Bosalski in Knesenau.
Der Verstorbene war nicht verheiratet.
Eingetragen auf mündliche Anzeige des Oberzahlmeisters Felix H.
1 in Suttrop, Reserve Lazarett Warstein.Der Anzeigende ist bekannt und erklärte, daß er von dem Sterbefalle aus eigener Wissenschaft unterrichtet sei.
Vorgelesen, genehmigt und unterschrieben:
Der Standesbeamte
Todesursache: Lungentuberkulose“
Handschriftlich ist nachgetragen: „Reihe IV, Grab 34“
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1 Namen womöglich noch lebender Personen abgekürzt
2 Sterbebuch „Suttrop II“ von 1945 im Rathaus der Stadt Warstein
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Aus den
„115 Bürger(n) aus Osteuropa, vorwiegend aus Rußland (Soldaten und Zivilisten)“ sind nun
111 Bürger der UdSSR geworden und
4 Jugoslawen, die mit Warstein eigentlich gar nichts zu tun hatten.
Marko Sulik (24.4.1904 - 3.2.1947), Dusan Nikolik (14.12.1897 - 30.3.1947), Zdravko Tesovic (6.4.1913 - 28.6.1947) und Grujica P. Spasic (21.11.1912 - 20.8.1947) starben alle in Lippstadt; warum wurden sie nach Warstein auf einen sowjetischen Ehrenfriedhof verlegt?
Es gibt ja „jugoslawische Gräber“ in Lippstadt auf dem Friedhof wie etwa diese beiden:
Und es gibt auch eine sowjetische Stele:
- wieder mit drei Seiten, wieder mit einem Text auf drei Sprachen, aber viel kleiner als die in Meschede und mit einem anderen Text, der auf Englisch
„A MEMORIAL TO OUR RUSSIAN COMRADES WHO WERE DESTROYED BY FASCISM.
YOUR COUNTRY WILL NOT FORGET YOU. 1941 – 1945”
lautet und auf Deutsch
„EWIGES ANDENKEN AN UNSERE RUSS. GENOSSEN, DIE VERNICHTET WURDEN VON DEM FASCHISMUS.
DIE HEIMAT VERGISST EUCH NICHT. 1941 – 1945“
Leider erzählt die Stele gar nichts. „Zum Andenken“ – ja; aber wo sind denn diese „Kameraden“, wo liegen sie? Dort, wo die Stele steht, auf dem Wiesenstück rechts und links davon? Wo sind sie gestorben und wodurch? Kein Ort, kein Name – nichts.
Ein Denkmal für Polen trägt ihre Namen,
und viele Grabsteine stehen für die Bürger Polens, die in Lippstadt begraben liegen.
Aber wer waren die „RUSSIAN COMRADES“, von denen die Stele spricht? Hatten sie keine Namen? Weiß keiner, wer hier begraben liegt?
Unter dieser Wiese um die Stele lägen 150 Bürger der Sowjetunion, hörte ich. Gibt es zu diesen 150 Menschen Namens- bzw. Gräberlisten beim „International Tracing Service (ITS)” in Bad Arolsen
3 wie von den Toten auf dem „Russischen Ehrenfriedhof“ in Warstein4 und dem Waldfriedhof in Meschede5? Warum sind die Namen sowjetischer Staatsbürger nicht auch würdig in Stein gemeißelt und so verewigt?Aber zurück zu meinen beiden Stelen
6 bzw. zum „Russischen Ehrenfriedhof des Anstaltsfriedhofes“ der LWL-Klinik in Warstein.Inzwischen habe ich die Sterbebücher „Suttrop II“ durchgesehen und nicht nur die Sterbeurkunde von
Alex Bosalski (s.o.) gefunden, sondern auch von Nikolai Holowin, der nicht auf der Liste des ITS7 steht:„Nr. 323
Suttrop II, den 25 Juni 1945
Der russische Soldat, Kraftfahrer Nikolai Holowin
, russisch orthodox, wohnhaft in Rostow, ist am 23. Juni 1945 um 18 Uhr 30 Minuten in Suttrop im Reserve Lazarett Warstein verstorben.Der Verstorbene war geboren am 25. Februar 1909 in Rostow.
Der Verstorbene war verheiratet mit Antonia Holowin, in Rostow.
Eingetragen auf mündliche Anzeige des Oberzahlmeisters Felix H. in Suttrop, Reserve Lazarett Warstein.
Der Anzeigende ist bekannt und erklärte, daß er von dem Sterbefalle aus eigener Wissenschaft unterrichtet sei.
Vorgelesen, genehmigt und unterschrieben:
Der Standesbeamte
Todesursache: Lungentuberkulose“
Handschriftlich ist nachgetragen: „Grab N: 37, Reihe IV“
Und auch von Feodor Bondarenko, der mir besonders aufgefallen war, weil er schon 1940 starb, also vor dem Überfall der deutschen Wehrmacht am 21. Juni 1941 auf die Sowjetunion:
„Nr. 177
Suttrop, den 9. November 1940
Der Schuhmacher Feodor Bondarenko
, griechisch katholisch, zuletzt wohnhaft in Hohenlimburg, Kaiserstraße no. 7, ist am 7. November 1940 um 18 Uhr in Suttrop verstorben.Der Verstorbene war geboren am 19. Februar 1892 in Wolschansk, Rußland.
Vater: unbekannt.
Mutter: unbekannt.
Der Verstorbene war verheiratet mit Klara Bondarenko, geborene Groß, wohnhaft in Hohenlimburg, Uferstraße no. 4. Die Ehe wurde 1938 geschieden.
Eingetragen auf mündliche Anzeige des I. Oberpflegers Paul B. in Suttrop.
Der Anzeigende ist bekannt und erklärte, daß er von dem Sterbefalle aus eigener Wissenschaft unterrichtet sei.
Vorgelesen, genehmigt und unterschrieben:
Paul B.
Der Standesbeamte
In Vertretung: K.
Todesursache: Progressive Paralyse“
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4 2.1.2.1 / 70785244-70785247,
ITS Digital Archive, Bad Arolsen
5 „Gräberliste von Bürgern der Vereinten Nationen nach Zivilisten, U.S.S.R.,
Waldfriedhof Meschede“, ITS Bad
Arolsen, 2.1.2.1 / 70792345; „Bürger der Vereinten Nationen, die seit dem
4.9.1939 hier ortsansässig geworden
und hier verstorben sind, Waldfriedhof Meschede“, ITS Bad Arolsen, 2.1.2.1 /
70792343; „Nachweis über die im
Amte Meschede verstorbenen russischen Staatsangehörigen“, ITS Bad Arolsen,
2.1.2.1 / 70792351 und 2.1.2.1 /
70792352; „Gemeinde Meschede, Nationalität Russen, Sterbeurkunde ja,
Waldfriedhof“, ITS Bad Arolsen,
2.1.2.1 / 70689395
6
https://www.schiebener.net/wordpress/wp-content/uploads/2017/10/Zwei-Stelen-wohnen-ach-in-meiner-Brust.pdf
7 2.1.2.1 / 70785244-70785247, ITS Digital Archive, Bad Arolsen
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Zunächst gebe ich hier tabellarisch die angegebenen „Todesursachen“ der 111 sowjetischen Staatsbürger wieder, die auf dem „Russischen Ehrenfriedhof des Anstaltsfriedhofes“ der LWL-Klinik in Warstein begraben liegen, darunter zwei siebzehnjährige „Putzhilfen“:
Anna Grebenük, 157/1944
„Nr. 157
Suttrop II, den 22. Juni 1944
Die Ostarbeiterin, Putzhilfe, Anna Grebenük, katholisch, zuletzt wohnhaft in Werl, ist am 22. Juni 1944 um 4 Uhr 35 Minuten in Suttrop verstorben.
Die Verstorbene war geboren am 13. Juni 1927 in Artemowsk (Ukraine).
Vater: unbekannt.
Mutter: unbekannt.
Der Verstorbene war nicht verheiratet.
Eingetragen auf mündliche Anzeige der Ordensschwester Elisabeth K. in Suttrop.
Die Anzeigende ist bekannt und erklärte, daß sie von dem Sterbefalle aus eigener Wissenschaft unterrichtet sei.
Vorgelesen, genehmigt und unterschrieben:
Elisabeth K.
Der Standesbeamte
Todesursache: Lungentuberkulose“
Nadja Nepotschatewa, 159/1944
„Nr. 159
Suttrop II, den 27. Juni 1944
Die Ostarbeiterin, Putzhilfe, Nadja Nepotschatowa, katholisch, zuletzt wohnhaft in Iserlohn, ist am 27. Juni 1944 um 5 Uhr 45 Minuten in Suttrop verstorben.
Die Verstorbene war geboren am 30. Januar 1927 in Kunanje (Rußland).
Vater: unbekannt
Mutter: unbekannt
Die Verstorbene war nicht verheiratet.
Eingetragen auf mündliche Anzeige der Ordensschwester Elisabeth K. in Suttrop.
Die Anzeigende ist bekannt und erklärte, daß sie von dem Sterbefalle aus eigener Wissenschaft unterrichtet sei.
Vorgelesen, genehmigt und unterschrieben:
Elisabeth K.
Der Standesbeamte
Todesursache: Lungentuberkulose“
Originaldatei: Todesursachen laut Sterbeurkunden Suttrop II.pdf