Von Scheunen, Lagern und Sammelstellen
Nadja Thelen-Khoder
Originaldatei: Von_Scheunen_Lagern_und_Sammelstellen
Immer wieder sind es Sätze, Worte oder auch nur einzelne Wörter, die mir
auffallen. So hatte die „Westfalenpost, Tageszeitung für Warstein und das
Möhnetal“ am 23.3.1985 geschrieben:
„Die Umbettung auf den Waldfriedhof Fulmecke ging zunächst auf die Initiative des Volksbundes Deutsche Kriegsgräberfürsorge zurück. ... Mit Schreiben 01/073/-06 vom 27. August 1963 bittet die Institution der Kriegsgräberfürsorge das Mescheder Bauamt um Planungsunterlagen des Waldfriedhofes und eine Kostenberechnung. Rund 50.000 DM werden für dieses Vorhaben ausgegeben.“ Und im gleichen Artikel stand auch: „1964 wurden auf Initiative des Volksbundes Deutscher Kriegsgräberfürsorge die Gebeine der Getöteten nach Meschede verlegt. Der dreieckige Spitzpfeiler fand auf der dortigen Gedenkstätte einen Ehrenplatz.“1 Dieser „Ehrenplatz“ so am 12. Oktober 2015 so aus:
„Ein geeigneter Platz innerhalb er Bepflanzung ist zu wählen.“2
Nun hat ja der Landschaftsverband Westfalen-Lippe (LWL)
Meschedes Waldfriedhof zum „Denkmal des Monats“ gekürt3,
und in der Mitteilung des LWL unter der Überschrift „Denkmal des Monats. Zur
Geschichte des sogenannten Franzosenfriedhofs in Meschede. Die
Kriegsgräberstätte und sowjetische Gedenkstätte in der Fulmecke“ heißt es u.a.:
„Die Initiative zur Translozierung der Kriegsgräberstätte von Warstein nach
Meschede ging von der Kriegsgräberfürsorge aus. Sie ist auch vor dem Hintergrund
zu betrachten, dass es bei sowjetischen Kriegsgräberstätten nach 1950 vermehrt
zur Vernachlässigung der Bausubstanz und zu politisch motivierten Versuchen
einer Umgestaltung kam. Diese Kriegsgräberstätte gibt nicht nur Auskunft über
Geschehnisse im Ersten und Zweiten Weltkrieg, sondern verweist auf den Umgang
der Deutschen mit der sowjetischen Erinnerungskultur von der Nachkriegszeit bis
heute.“4
Es war das Wort „Initiative“, das mir so auffiel, zumal es diesmal auch noch in
Verbindung mit „Translozierung“ einherkam. „Initiative zur Translozierung“ – ich
war tief beeindruckt, und alles durch den „Volksbund Deutsche
Kriegsgräberfürsorge“, „bis heute“5.
Zunächst mußte ich „Translozierung“ nachschlagen. Ach so: trans = hinüber“, „locus“
= Ort, also ist translozieren = an einen anderen Ort versetzen.
Und schon verstehe ich wieder etwas nicht, und diesmal kann der Duden mir auch
gar nicht weiterhelfen.
„A u s z u g aus der Niederschrift über
die Sitzung der Stadtverwaltung Warstein am 1. April 1963.
[Eingangsstempel des „Amt Warstein“ vom 5. April 1963]
21.
Der Herr Regierungspräsident regt in seinem Schreiben vom 21.3.1963 die
Zusammenlegung der Gräber der sowjetrussischen Fremdarbeiter in Warstein und
Suttrop an. Die Vertretung hält es für ratsam, eine Verlegung der Gräber zu der
bereits eingerichteten Sammelstelle bei Meschede vorzuschlagen.
[Stempel: „Siegel der Stadt Warstein“]
gez. Unterschriften!
Warstein, den 2. April 1963
Der Stadtdirektor:
Risse“
Handschriftlich steht unten auf der Seite: „Rückspr. mit Kriegsgräberverband?“6
Zunächst regt also der Herr
Regierungspräsident am 21.3.1963 nur die „Zusammenlegung der Gräber der
sowjetrussischen Fremdarbeiter in Warstein7 und Suttrop8
an“, woraufhin „die Vertretung“ der Stadtverwaltung Warstein anregt, gleich alle
Ermordeten „zu der bereits eingerichteten Sammelstelle9
bei Meschede“ zu verlegen. „Sammelstelle“ – was für ein schickes Wort! Wo habe
ich das Wort „Sammelstelle“ nur schon einmal gehört?
Die „Initiative zur „Zusammenlegung der Gräber“ ging also wohl vom Herrn
Regierungspräsidenten aus und stieß auf mehr als wohlwollende Aufnahme. Hatten
nicht die „Westfalenpost“ 1985 und der LWL 2017 von der Initiative des
„Volksbundes Deutsche Kriegsgräberfürsorge“ geschrieben? Aber wer oder was ist
eigentlich dieser „Volksbund“, was sind seine Aufgaben?
Im Januar 2017 vermittelte mir Herr Paul von der Friedhofsverwaltung in Meschede
ein Gespräch mit dem Herrn Scherer in Arnsberg. Die Geschäftsstelle wurde zum
Februar aufgelöst, und ich hatte das große Glück, mit dem Leiter vorher noch
länger sprechen zu können. Er nahm sich sehr viel Zeit für mich und schenkte er
mir sogar das Buch „Grabstätten sowjetischer Bürger auf dem Gebiet des
Freistaates Sachsen“, hrsg. von der „Stiftung Sächsische Gedenkstätten zur
Erinnerung an die Opfer politischer Gewaltherrschaft“ und vom „Volksbund
Deutsche Kriegsgräberfürsorge e.V.“, Dresden 2008. Es ist ein wunderschöner
Bildband, und ich las auf S. 9: „In Deutschland hat der Volksbund ein wachsames
Auge auf den Zustand der hier vorhandenen sowjetischen Kriegsgräberstätten,
obwohl dies nicht in seine unmittelbare Kompetenz gehört.“
Bis heute habe ich nicht verstanden, was genau zur Kompetenz dieses
„eingetragenen Vereins“ gehört, der sich selbst einfach „Volksbund“ nennt.
„Ebenso beteiligte sich der Volksbund von Anfang an an der Erforschung der
Schicksals sowjetischer Kriegsgefangener, seit dies ab dem Ende der 90er Jahre
durch die Öffnung der postsowjetischen Archive im Rahmen eines durch die
Stiftung Sächsischer Gedenkstätten durchgeführten Projektes möglich war“, heißt
es auf S. 9 weiter. Aber am 25. November 2017 las ich noch immer auf der
Internetseite dieses eingetragenen Vereins, auf der man in der „Suchen“-Funktion
die jeweilige Kriegsgräberstätte eingeben kann10, zu
den Friedhöfen mit „meinen“ drei Stelen11:
1. Zum Mescheder Waldfriedhof: „Die Angaben zu dieser Kriegsgräberstätte werden
derzeit überarbeitet.“ Bis April 2017 lagen dort „255 deutsche Kriegstote“. Ein
Photo zeigt das Portal.
2. Zum „Russischen Ehrenfriedhof des Anstaltsfriedhofs“ der LWL-Klinik („Warstein-Suttrop-Anstaltfriedhof“):
„Auf dieser Kriegsgräberstätte ruhen 115 Kriegstote des II. Weltkrieges. Von
diesem Friedhof ist noch kein Bildmaterial vorhanden.“
3. Zum Lippstädter Friedhof: „Auf dieser Kriegsgräberstätte ruhen 434 deutsche
Kriegstote.“ Es gibt sechs Photos.
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2 Vermerk des Amtsbaumeisters über eine Besprechung am 9.3.1964 betr. „Russengräber im Langenbachtal“, Stadtarchiv Warstein, Akte H 79
4 https://www.lwl.org/dlbw/service/denkmal-des-monats
5 siehe „Drei Massaker, zwei Gedenksteine, ein Friedhof“ – und zwei unsägliche, weil nichts sagende Tafeln, eine von 2016 auf
6 Stadtarchiv Warstein, Akte H 79
7 Das sind die Ermordeten des Massakers deutscher Soldaten unter
SS-Kommando vom 20.3.1945.
8 Das sind die Ermordeten des Massakers deutscher Soldaten unter
SS-Kommando vom 21.3.1945.
9 Das ist Meschedes Waldfriedhof, genannt der „Franzosenfriedhof“ oder
„Kriegsgräberstätte Meschede-Fulmecke“.
10
http://www.volksbund.de/kriegsgraeberstaetten.html
11 https://www.schiebener.net/wordpress/wp-content/uploads/2017/11/Sch%C3%BCtzenhallen.pdf
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Viele Photos habe ich
dem „Volksbund“ vom Mescheder Waldfriedhof geschickt, aber man sieht nur das
eine vom Eingangstor. Man wolle die Tafel abwarten, sagte man mir von berufener
Seite. Wie schön ist dagegen die Internetseite von belgischer Seite über den
„Franzosenfriedhof“, auf dem auch Belgier lagen12!
Photos und Ansichtskarten von „damals“ und heute, und sogar zu den einzelnen
Toten findet man Angaben13.
Auch zum „Russischen Ehrenfriedhof des Anstaltsfriedhofs“ stehen jetzt
„Bildmaterial“ und Informationen zu den Toten zu Verfügung14; vielen herzlichen
Dank!
Zum Lippstädter Gemeindefriedhof mit seiner sowjetischen Stele komme ich später.
Wenn die Initiative zur Zusammenlegung der Gräber vom Herrn Regierungspräsidenten ausging und die „Westfalenpost“ 1985 und der LWL 2017 von der Initiative des „Volksbundes Deutsche Kriegsgräberfürsorge“ schreiben: War der Herr Regierungspräsident vielleicht ein hochrangiges Mitglied dieses „eingetragenen Vereins“? Meinen damaligen Brief an den Landesvorsitzenden NRW wegen der Internetseite mit ihren „255 deutschen Kriegstoten“16 auf Meschedes Waldfriedhof hatte ich ja auch an den nordrhein-westfälischen Justizminister zu schreiben17. Mir ist wirklich nicht klar, was es mit diesem „eingetragenen Verein“ auf sich hat.
Aber weiter zu einzelnen Sätzen, Worten und Wörtern:
In der Akte H 79 hatte ich diese Erwähnung der Stele mit der exakten
Unterscheidung zwischen „gefordert“ und „erforderlich“ gefunden:
„Amtsverwaltung Warstein
Warstein, den 4. August 1950
Amt f. öffentl. Ordn.
III.C.17-1
1. Bericht:
Betrifft: Sowjetische Gräber
Bezug: Verfügung vom 31.7.1950 – GZ.: 44-6-2.-
Die Herstellung der Grabsteine ist aus den in meinem Bericht vom 26.6.1950 angegebenen Gründen ausgesetzt. Mit dem Bericht erbat ich Entscheidung über die Kostenfrage. Bis jetzt steht diese noch aus.
Aus Ziffer 3b des Schreibens der Militärregierung vom 21.6.1949 entnehme ich, daß Steinplatten mit russischen Schriftzeichen nur für die Gräber mit namentlich bekannten Toten gefordert werden; mithin solche nicht für Gräber mit unbekannten Russen erforderlich sind. Infolgedessen sind keine Kosten für Steinplatten und Aufschriften für Gräber mit unbekannten Russen in Ansatz gebracht.
Gräber mit unbekannten Russen sind vorhanden
in Belecke 8,
in Hirschberg 2,
in Waldhausen 1,
in Warstein 71 (auf einem Waldfriedhof – Russenfriedhof -).
Falls auch die Gräber mit unbekannten Russen Steinplatten
erhalten und diese beschriftet werden sollen, werden sich die Kosten wesentlich
erhöhen und zwar
je Grabplatte 30 x 20 cm groß, 40 mm stark,
Fläche und Kanten geschliffen,
aus grau-grünem Dolomit, ............................................. 8,-- DM,
je Buchstabe (russische Schrift), keilförmig vertieft
gehauen, nicht vergoldet und nicht ausgestrichen
0,60 DM
betragen. – Ich bitte, evtl. auch hierüber Entscheidung herbeizuführen und ggf.
welche Aufschrift die Gräber unbekannter Russen erhalten sollen.
Der Waldfriedhof (Russenfriedhof) in Warstein enthält ein Obelisk mit einer s. Zt. russischen Wünschen entsprechenden Aufschrift in deutscher, russischer und englischer Sprache:
,HIER
RUHEN RUSSISCHE
BÜRGER BESTIALISCH
ERMORDET
IN FASCHISTISCHER
GEFANGENSCHAFT
EWIGER RUHM
DEN GEFALLENEN HELDEN
DES GROSSEN
VATERLÄNDISCHEN
KRIEGES
1941 – 1945’
Erübrigt.“
Diesem Schreiben mit dem Hinweis „Falls auch die Gräber mit unbekannten Russen Steinplatten erhalten und diese beschriftet werden sollen, werden sich die Kosten wesentlich erhöhen ...“ und der Bitte, „evtl. auch hierüber Entscheidung herbeizuführen und ggf. welche Aufschrift die Gräber unbekannter Russen erhalten sollen“, folgte dieses Schreiben:
„Abschrift von Abschrift
Der Innenminister des Landes
Düsseldorf, den 19.8.1950
Nordrhein-Westfalen
Abt. I – 107 – 4 Nr. 96/50
Betr.: Pflege sowjetischer Gräber.
Bezug: Bericht vom 1o.8.1950 – I Sta – I 62-6 -.
Die Forderung des Landkommissars zur Aufstellung von
Grabzeichen auf sowjetischen Gräbern in einer Grösse von 60 x 90 cm geht auf
eine Vereinbarung zwischen der britischen Besatzungsbehörde und den russischen
Verbindungsstellen zurück. Ich habe mich wiederholt gegen dieses Verlangen
ausgesprochen und es abgelehnt, eine entsprechende Weisung an die nachgeordnete18
Behörden zu geben und zwar aus dem Grunde, weil dieses Verlangen nicht dem
Grundsatz einer gleichmässigen Behandlung sowohl hinsichtlich der Ausstattung
als auch der Kostenaufwendung aller Kriegsgräber ohne Rücksicht der Nationalität
entspricht. Eine Heraushebung der russischen Gräber gegenüber allen anderen
Kriegsgräbern würde von der Bevölkerung nicht verstanden werden und wäre
geeignet, einer politischen Propaganda Vorschub zu leisten. Andererseits wäre es
finanziell nicht tragbar, bei der grossen Zahl der im Land Nordrhein-Westfalen
befindlichen Russengräber Steine mit einem Kostenaufwand 70,- bis 90,- DM pro
Stück auf jedes Grab zu stellen.
Diese meine Einwendungen haben bei der hiesigen Besatzungsdienststelle volles
Verständnis gefunden und von dort wird bei höchster Stelle versucht, die
Anordnung abzuändern.
Sobald eine Entscheidung getroffen ist, komme ich auf die Angelegenheit zurück.
Aber auch abgesehen hiervon bitte ich Vorhaben, soweit sie über die rein
pflegerische Betreuung von Grabanlagen hinausgehen, bis auf weiteres hinhaltend
zu behandeln, da augenblicklich weder Landes- noch Bundesmittel zur
Bezuschussung zur Verfügung stehen.
Im Auftrage:
gez. Unterschrift
An den Herrn Regierungspräsidenten
in Arnsberg
---
Der Regierungspräsident Arnsberg, den 25. Sept. 50
I Sta I 62-6
Abschrift übersende ich mit der Bitte um Kenntnisnahme.
Die mir in dieser
Angelegenheit aus verschiedenen Kreisen des hiesigen Regierungsbezirks
schriftlich und fernmündlich erstatteten Berichte über Forderungen der
Kreisoffiziere auf Aufstellung von Grabsteinen in einer Grösse von 60 x 90 cm
sehe ich hierdurch als erledigt an.
Bezüglich der Pflege der sowjetischen Kriegsgräber erwarte ich jedoch, dass auch
bei Offenbleiben der Frage, in welche Grösse die Grabzeichen aufzustellen sind,
die Gräber und Grabanlagen selbst weiterhin in gutem und würdigen Zustand
gehalten werden.
Selbstverständlich hat sich die Pflege auch auf bereits vorhandene Grabzeichen
zu erstrecken. Insbesondere muss bei Grabzeichen aus Holz sowohl der Anstrich
als auch die Beschriftung rechtzeitig erneuert werden. Ich bitte, auch diese
Seite der Pflege zu beachten.
Gez. Biernat Beglaubigt:
gez. Unterschrift
An
die Land- und
Stadtverwaltungen Reg.-Angestellter
des Bezirks.
b.w.
Ich bitte um beschleunigte Stellungsnahme, da vor dem abschließenden Bericht an
den Herrn Innenminister noch eine Überprüfung an Ort und Stelle stattfinden
soll.
In Vertretung:
(Unterschrift)
[Stempel: „Gesehen und weitergesandt. Arnsberg, den 26.3.63. Landkreis Arnsberg.
Der Oberkreisdirektor. Sozialamt. G.Z.: Im Auftrage:
(Unterschrift)]“19
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19
Stadtarchiv Warstein, Akte H 79
20 „Information über Ausländer-Läger“ in der Stadt Meschede vom
21.6.1949, 2.2.0.1 / 82416682, ITS Digital Archive, Bad Arolsen; siehe auch
„Schützenhallen“ unter
http://hpgrumpe.de/ns_verbrechen_an_zwangsarbeitern_suttrop,_warstein,_meschede/Sch%C3%BCtzenhallen.pdf
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Große Klammer auf:
„Im Jahr 1664 werden erstmals zwei Juden in Warstein urkundlich erwähnt. Im 18.
Jahrhundert wohnten zwei bis drei jüdische Familien in der Stadt; zu einem
Anwachsen der kleinen Gemeinde kam es im 19. Jahrhundert. 1855 fiel die
Warsteiner Synagogengemeinde als Filialgemeinde Arnsberg/ Neheim zu, obwohl die
Warsteiner Juden selbständig bleiben wollten. Als Begründung führten sie den
eigenen, angeblich 200 Jahre alten Friedhof an. Gegen Ende des 19. Jahrhunderts
verließen viele Juden den Ort; nur drei Familien blieben in Warstein.
Es ist nicht bekannt, wo sich vor Beginn des 19. Jahrhunderts ein Betraum bzw.
eine Synagoge befand, da 1802 die meisten Häuser bei einem Stadtbrand zerstört
wurden. Im ersten Viertel des 19. Jahrhunderts wurde auf dem Grundstück des
damaligen Synagogenvorstehers eine Synagoge errichtet. … in der damaligen
Synagogengasse, heute Am Salzbörnchen 11.
In der Pogromnacht 1938 wurde die gesamte Inneneinrichtung verwüstet. …
Ein um das Jahr
1930 entstandenes Foto zeigt, offenbar neben einer Scheune, das zweigeschossige
Fachwerkhaus mit einem verschieferten Krüppelwalmdach. Ein schmaler Weg führt
durch einen kleinen Vorgarten zu einer kleinen Tür in einem niedrigen
überdachten Vorbau; die sichtbare Giebelfassade, an der zwischen den Bäumen
hindurch ein Fenster nur zu erahnen ist, ist verschiefert. Eine Steinmauer
versperrt den Weg zum hinter dem Haus liegenden Grundstück. Offenbar gab es –
auf dem Bild nicht erkennbar – an der Ostseite einen kleinen Vorbau für die
Toranische. Zum Inneren liegen nur wenige Informationen vor: ,Die kleine Empore
an der Rückwand diente vornehmlich im Laufe unseres Jahrhunderts zur
Unterbringung der im Westfälischen Landeskrankenhaus lebenden Patienten
jüdischer Konfession. Eine farbige Ausmalung markierte die Innenansicht der
Synagoge, während eine Art Gewölbe, verziert mit goldenen Sternen auf blauem
Untergrund, den Raum nach oben
abschloß.’21
In der Nacht zum
10. November 1938 wurde die gesamte Inneneinrichtung der Synagoge zerschlagen.
Von Brandstiftung wurde wegen Gefährdung umliegender Gebäude abgesehen. Das
Gebäude wurde einem Landwirt verkauft und zum Lagerraum.
1970 wurde es abgerissen. Ein Gedenkstein erinnert an die ehemalige Synagoge.22“
aus
„Feuer an Dein Heiligtum gelegt.
Zerstörte Synagogen 1938 in Nordrhein-Westfalen“
hrsg. von Michael Brocke
(Stadtarchiv Düren23, D 6 338, Handapparat: Judentum)
Große Klammer zu.
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21 An dieser Stelle befindet sich eine
Fußnote, die ich dummerweise im Moment nicht finde.
22 Die Gedenktafel ist abgebildet in
http://hpgrumpe.de/ns_verbrechen_an_zwangsarbeitern_suttrop,_warstein,_meschede/Der%20Brand%20der%20Sch%C3%BCtzenhalle%20und%20noch%20eine%20Liste.pdf
23 Mein Vater kam aus Düren. Seine Mutter und sein jüngerer Bruder
waren in Warstein evakuiert, wo meine Eltern sich kennen und lieben lernten. Ein
besonderes Erbe …
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Aus „Schützenhallen“ machten Nazis „Ostarbeiterlager“24,
und viele, viele Gesetze und Verordnungen kategorisierten die Menschen in
„erwünschte“ und „unerwünschte“, „brauchbare“ und „unbrauchbare“ bis hin zu
„lebenswerten“ und „unlebenswerten“ Menschen.
Die beiden größten „Opfer“25-Gruppen waren „Juden“26 (6
000 000 Tote) und „Russen“, also Bürger der Sowjetunion (27 000 000 Tote).
Schon 1923 schrieb Adolf Hitler in „Mein Kampf“: „Da ich mich nun aber überwand
und diese Art von marxistischen Presseerzeugnissen zu lesen versuchte, die
Abneigung aber in diesem Maße ins Unendliche wuchs, suchte ich nun auch die
Fabrikanten dieser zusammengefassten Schurkerei näher kennenzulernen. Es waren,
vom Herausgeber angefangen, lauter Juden.“28
In der Sowjetunion waren Menschen, die sich „Marxisten(-Leninisten)“ nannten, an
die Macht gekommen, und damit war dieser Staat für viele von Anfang ein „Feind“;
die Nazis sprachen von der Bedrohung einer „jüdisch-bolschewistischen
Weltrevolution“.
Am 23.3.1933 stimmten 444 Mitglieder des abgebrannten Reichstages, der deshalb
in der Kroll-Oper tagte, dem „Ermächtigungsgesetz“ zu, das es dem Reichskanzler
ermöglichte, Gesetze zu erlassen, die sofort am nächsten Tag (ohne notwendige
Zustimmung des Parlaments) in Kraft traten. Und so konnten die
Nationalsozialisten mit ihrer „völkischen Gesetzgebung“ beginnen, in der die
durch Blut und Kriege zusammengeschmiedete Nation der Deutschen, die nie „ein
Volk“ waren29, sich als eben dieses eine (u.a. nicht
jüdische) „deutsche Volk“ definierte.
Nach dem „Gesetz zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums“ vom 7. April 1933
„zur Wiederherstellung eines nationalen Berufsbeamtentums und zur Vereinfachung
der Verwaltung“ konnten vor allem jüdische (aber eben auch sozialdemokratische,
liberale und vieles andere) „Beamte nach Maßgabe der folgenden Bestimmungen aus
dem Amt entlassen werden, auch wenn die nach dem geltenden Recht hierfür
erforderlichen Voraussetzungen nicht vorliegen.“ Schon in diesen ersten Zeilen
wurde „geltendes Recht“ für null und nichtig erklärt und im Folgenden die neue
Willkür mehrfach betont: „Weitere Ausnahmen können der Reichsminister des Innern
im Einvernehmen mit dem zuständigen Fachminister oder die obersten
Landesbehörden für Beamte im Ausland zulassen.“30
Es folgten die „Nürnberger Gesetze“, und in seinem „Kommentar“ machte Hans
Globke, der im Kabinett Konrad Adenauer oberste Beamte der neuen Bundesrepublik
Deutschland, die neuen Gesetze „handzahm“, setzte sie in die Tat um, ließ
deutsche Einwohnermeldeämter das „J“ und „Z“ in die Ausweise vieler Deutscher
stempeln.
Aus dem „Merkblatt für die Behandlung und den Arbeitseinsatz der Arbeitskräfte
aus dem altsowjetrussischen Gebiet (Stempel: Geheime Staatspolizei,
Staatspolizeistelle Dortmund)“ im Stadtarchiv der Stadt Warstein, Akte E 162,
habe ich mehrfach zitiert31. „Ostarbeiter“ – das waren
nicht einfach „Zwangsarbeiter“32; für sie galten
besondere Regelungen.
„Grundsatz einer gleichmässigen Behandlung sowohl hinsichtlich der Ausstattung
als auch der Kostenaufwendung aller Kriegsgräber ohne Rücksicht der
Nationalität“.33
Nun könnte man natürlich sagen: „Eben. Wenn die unterschiedliche Behandlung von
Menschen Sache der Nazis war, dann ist es die Pflicht derer, die von eben diesen
Nazis zu „Feinden“ erklärt wurden, die Toten gleichermaßen zu ehren; dann sind
sie wenigstens im Tode alle gleich.“ Aber ist das passiert? Überall sehe ich
„Ehrenmale“ oder „Ehrenfriedhöfe“ für deutsche Soldaten mit riesigen Kreuzen,
und viele erinnern mich von ihrer Form her an eine Todesanzeige, die ich
überhaupt nicht verstehen kann:
Sie befindet sich in „Kirchliches Amtsblatt für die Erzdiözese Paderborn, Stück 19, Paderborn, den 21. September 1944, 87. Jahrgang“ unter der „Nr. 291: Tod für das Vaterland“:
„Tod für das Vaterland“? Und dann dieses Kreuz? Gott steh’ mir bei!
In „Kirchliches Amtsblatt für die Erzdiözese Paderborn“ vom 21.9.1944 steht unter Nr. 375 „Kriegsauszeichnungen und –beförderungen“ auf S. 131:
In vielen Gesprächen versicherten mir ehemalige Angehörige der Deutschen Wehrmacht, daß sie „unfreiwillig in den Krieg gezogen“ seien; sie hätten ja nicht anders gekonnt. Und mein Vater, der am Tag der Befreiung seit seit knapp einem Monat 20 Jahre alt war, sagte immer: „Ihr kommt mir vor wie Blinde, die von der Farbe reden“, wenn seine Kinder ihn fragten, warum er bzw. seine Familie nicht „Nein!“ gesagt hätten.
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25 „Opfer“ ist laut Duden ein religiöser
Begriff. In anderen Sprachen ist es undenkbar, von Personen als „Opfer“ zu
sprechen.
26 Menschen jüdischen Glaubens oder Herkunft („säkulariserte
Juden“), die durch die Nazis per Gesetz nach 1933 wieder auf diese Eigenschaft
reduziert, zu „Juden“ erklärt und damit aus ihrem „Volk“ ausgeschlossen wurden.
Dieser Antijudaismus hat (nicht nur) in Deutschland eine lange Tradition. Das
„christliche Abendland“ verbrannte schon im Mittelalter „Hexen“, „Juden“, „Katharer“,
„Protestanten“ u.v.a.m., die „anders“ leben
wollten.
27 „ ,Judenstern’ aus dem Besitz der Eheleute Leven aus
Krefeld-Hüls. Foto: Anja Liebemann, 2011 aus „Endzeitkämpfer. Ideologie und
Terror der SS“, hrsg. von Wulff E. Brebeck, Frank Huismann, Kirsten John-Stucke
und Jörg Piron, Deutscher Kunstverlag Berlin München 2011, S. 227; „Kennzeichen
Ost“ für „Ostarbeiter“ aus „Zwischen Jerusalem und Meschede“,
http://www.sauerlandmundart.de/pdfs/daunlots 76.pdf , S. 74
28 Adolf Hitler: „Mein Kampf. Eine kritische Edition“, hrsg. von
Christian Hartmann, Thomas Vordermayer, Othmar Plückinger und Roman Töppel im
Auftrag des Instituts für Zeitgeschichte, München – Berlin 2016, Band I, S. 223
29 sondern Sachsen, Bayern, Ostfriesen – sind „Rheinländer“ und
„Westfalen“ auch Völker?
30
http://www.dhm.de/lemo/html/dokumente/berufsbeamten33/index.html
31
http://hpgrumpe.de/ns_verbrechen_an_zwangsarbeitern_suttrop,_warstein,_meschede/2
Waldfriedhof Meschede-Fulmecke Stand 19 8 2017.pdf
32 „Als ,Arbeitskräfte aus dem altsowjetrussischen Gebiete’ gelten
diejenigen Arbeitskräfte, die aus dem ehemaligen sowjetrussischen Gebiet mit
Ausnahme der ehemaligen Staaten Litauen, Lettland, Estland, des Bezirks
Bialystok und des Distrikts Lemberg zum zivilen Arbeitseinsatz in das Reich
hereingebracht werden. Für die gesamte Behandlung dieser Arbeitskräfte ist
ausschlaggebend, dass sie jahrzehntelang unter bolschewistischer Herrschaft
gestanden haben und systematisch zu Feinden des nationalsozialistischen
Deutschland und der europäischen Kultur erzogen worden sind.“ (aus diesem
„Merkblatt“)
33 s.o.
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Nein, ich kenne Gott
sei Dank keine Diktatur aus eigener Lebenserfahrung, und ich will niemanden
verurteilen, weil er damals keinen Widerstand geleistet hat. Wer weiß, was ich
damals gemacht hätte?
Aber ich verstehe nicht, warum man dann „Ehrenmale“ mit diesen merkwürdig
geformten Kreuzen aufstellt. Worin bestand diese besondere „Ehre“ von Menschen,
die vielfach aus Angst um ihr eigenes Leben wildfremde Menschen im Krieg töteten
oder versklavten, weil andere es ihnen befohlen hatten?
Niemandem will ich irgendein Denkmal wegnehmen, das ihm bei seiner Trauer hilft.
Aber ich verstehe nicht, warum ich nirgendwo ein „Ehrenmal für den unbekannten
Deserteur“ gesehen habe, also für Menschen, die sich eher selbst töten ließen,
als daß sie andere Unschuldige töteten?
Darunter:
„WIR GEDENKEN AUCH ALLER UNGENANNTEN, DIE OPFER VON
GEWALTHERRSCHAFT UND KRIEG WURDEN, INSBESONDERE ALLER
GEFALLENEN, VERMISSTEN UND AUF DER FLUCHT UMGEKOMMENEN
ANGEHÖRIGEN DER HEIMATVERTRIEBENEN.“
Und darunter:
„ ,MEINE KINDER VERWEHTE DER KRIEG: WER BRINGT SIE MIR ZURÜCK?
...’
RICARDA HUCH“
So steht es auf der viel kleineren „Gedenktafel“ neben dem großen waschechten Krieger-Ehrenmal in Belecke: „DEN HELDENTOD FÜRS VATERLAND STARBEN“ steht auf dem Denkmal in Belecke an der Apotheke, und Tafeln verzeichnen Namen von 1866, 1870-71 und aus dem Ersten Weltkrieg.