DIE ZEIT, 09.06.2004:
Ein Kind, dem man das Meer geraubt hat
Bolivien lebt im Umbruch. Kann das ärmste Land Lateinamerikas eine echte
Demokratie werden, oder droht ihm der Bürgerkrieg? In La Paz bündeln sich die
Widersprüche des Kontinentes. Ein Streifzug durch die höchstgelegene Metropole
der Welt
„Die Entdeckungen, welche unsre europäischen Seefahrer in fernen Meeren und auf
entlegenen Küsten gemacht haben, geben uns ein ebenso lehrreiches als
unterhaltendes Schauspiel. Sie zeigen uns Völkerschaften, die auf den
mannichfaltigsten Stufen der Bildung um uns herum gelagert sind, wie Kinder
verschiednen Alters um einen Erwachsenen herumstehen, und durch ihr Beispiel ihm
in Erinnerung bringen, was er selbst vormals gewesen und wovon er ausgegangen
ist.“
Friedrich Schiller sprach diese Sätze 1789, als er seine Geschichtsprofessur in
Jena antrat. Sie wirken nach im Kopf jedes Europäers, der in arme Länder reist;
sie wirken nach, ob er es nun merkt oder nicht. Wenn ein Europäer in
Entwicklungsländer reist, ist er ein Erwachsener unter Kindern. Dafür sorgt sein
Geld, gegen welches die einheimische Währung Zwergengeld ist. Dafür spricht der
Zustand seines Gebisses, das den Säuglings- und Greisengebissen der
Einheimischen an Kraft überlegen ist. Davon zeugt seine Lebenserwartung, die
jene der Einheimischen überragt.
Jedoch, wenn man etwa nach Bolivien reist, 21 Flugstunden nach Westen, stellt
man fest, dass hier der Europäer als ein Wesen gilt, das nur durch Raub so
kräftig wurde. Viele halten ihn, um bei Schiller zu bleiben, für einen
Erwachsenen mit perversen Motiven, einen Kinderschänder.
Stimmen von La Paz: „Wir schämen uns nicht mehr, indianisch zu sein. Europa
wäscht uns nicht mehr das Gehirn!“ – „Fasziniert von den bärtigen europäischen
Männern, glaubten wir 500 Jahre lang, nur sie könnten den Fortschritt bringen.
Jetzt haben sie keine Macht mehr über uns.“ – „Europa hat den Kontakt zur Natur,
zu den Ahnen, zum inneren Reichtum verloren.“
Hier geschieht etwas Seltenes: Es kommen Menschen indianischer Abstammung zu
Wort. Angehörige der Quechua, der Aymara, der Guarani. Sie machen zwar 65
Prozent der bolivianischen Bevölkerung aus, aber ihre Teilhabe am Wohlstand ist
minimal, und in der Regierung hatten sie nie etwas zu sagen. Die Macht ist seit
Jahrhunderten in Händen der Criollos (der spanischstämmigen Weißen); sie stellen
8 Prozent der Bevölkerung.
Wir befinden uns auf einer „Fortschrittskonferenz“ in La Paz. Deutsche
Organisationen laden ein, das Goethe-Institut und die Gesellschaft für
Technische Zusammenarbeit (GTZ). Ähnliche Veranstaltungen gab es in den
vergangenen Wochen in Ägypten und Indien; Kongresse in Namibia und Russland
werden folgen. In Berlin soll dann gebündelt werden, was rund um die Welt
diskutiert wurde. Auch das ist, so könnte man meinen, ein Entwurf von
Schillerscher Anmaßung: Die Erwachsenen breiten zu Hause aus, was sie auf ihrer
Reise durch die Kinderwelt gesammelt haben.
Ungeborene Lamas bringen den Menschen Glück
Aber so soll es nicht werden. Die Europäer wollen hier, so versichern sie, vor
allem lernen. Lässt sich westlicher Fortschrittsbegriff mit indigener
Geisteswelt synchronisieren? Was erfahren die Europäer von den ewigen Kindern
Lateinamerikas?
Bolivien erweist sich als uraltes Kind. Es zittert im Fieber unbezwungener
Kinderkrankheiten. Kaum ein Land hat mehr Militärputsche erlebt, die Bevölkerung
hat die niedrigste Lebenserwartung des Kontinents, die soziale Ungerechtigkeit
ist extrem, das Gesundheitssystem beklagenswert.
Und doch: Unterschwellig wird Bolivien stabilisiert durch jene Kraft, die man
indigen nennt. Die Indianer haben sich den Kolonisatoren verweigert, und sie
sind fest entschlossen, sich der Globalisierung zu verweigern. „Wir wollen“,
sagt einer, „nicht euren Fortschritt der Werteakkumulation und des
Gedächtnisverlustes. Wir wollen den Einklang mit der pachamama, der Mutter
Erde.“
Gehen wir hinaus auf die Straßen. Ist dort von diesen Ansprüchen irgendetwas
eingelöst worden?
Eher nicht. La Paz, die höchstgelegene Metropole der Erde, zeigt sich dem
Fremden wie eine auf die Spitze gekippte Gesellschaftspyramide. In der Stadt
gibt es Höhenunterschiede von 1000 Metern, die sich als Klassenunterschiede
auswirken. Die Reichen wohnen im Süden, auf 3100 Meter Höhe. Das Zentrum
befindet sich auf 3600 Metern. Die Ärmsten wohnen auf einer Hochfläche in 4100
Meter Höhe, in El Alto; das ist die Nachgeburt von La Paz, eine Siedlung, die
den Flughafen umwuchert und bald eine Million Einwohner hat.
La Paz liegt zwischen den Bergen der Kordilleren wie ein gigantischer Krater,
der mit Hütten ausgekachelt ist. Die Dächer glimmern im sengenden Gebirgslicht
wie der Schuppenpanzer eines Tieres, das zu hoch hinaufgestiegen ist und in
verzweifelter Mimikry mit den Gipfeln verwächst.
Manches Fundament ragt über den Abgrund hinaus wie die Kante eines Sprungbretts.
La Paz ist eine Lawine, die bewohnt werden will. Zwischen aberwitzig in den Hang
gekrallten Vierteln wuchert Ginster. Hier ist vor Jahren ein Stadtteil
abgerutscht, die Toten liegen unter dem Schutt. Aus Respekt vor den Geistern hat
man hier nie mehr etwas angerührt; wie viele starben, ist unbekannt. Was La Paz
an tollkühner Überlebens- und fahrlässiger Siedlungskunst zeigt, lässt El Alto,
die Nachzüglerstadt, vermissen. Sie wälzt sich lehmig, von Kolibakterien
umstäubt, in die riesige Hochebene hinaus, den Altiplano.
Bolivien ist dreimal so groß wie Deutschland und hat nur acht Millionen
Einwohner. Es ist ein erschütternd leeres Land mit ein paar bizarr überfüllten
Städten. Jährlich verlassen Zehntausende ihre Dörfer in Richtung La Paz. Dort
gibt es keinen Platz mehr, also bleiben sie in El Alto.
El Alto ist ein Gaza-Streifen in 4000 Meter Höhe, Staubland, über dem die
Flugzeuge ihre Fahrwerke ausklappen. Tags kann es hier 30 Grad heiß werden, die
Nächte sind oft eisig; die Sonneneinstrahlung ist intensiv, die Luft dünn. Die
Straßen sind voller Geröll, ausgedörrte Flussbetten, an deren Ufern Häuser,
Tankstellen, Bars stehen. Im Hintergrund ragt der Hausberg von La Paz auf, der
schneegleißende Illimani, 6322 Meter hoch. Aus den Pfützen trinken die Schweine,
in den Hinterhöfen krähen Hähne. Städtebau ist hier ein anderer Begriff für
Erosion. Je weiter weg vom Flughafen man sein Haus baut, desto geringer ist die
Chance, dass es je ans Strom- und Wassernetz angeschlossen wird. Viele
verrichten ihre Notdurft in Plastiktüten. Der beizende Geruch von Kerosin und
Urin schwebt in der Luft.
Die Weite Boliviens und die Enge von La Paz – das sind zwei Umstände, die El
Alto zum gigantischen Überlaufbecken werden ließen. El Alto wächst und
reproduziert dörfliche Handlungsmuster. Da gibt es Hexenmärkte, auf denen
Händlerinnen getrocknete Gürteltiere, Wildkatzen, Schlangen, Vögel feilbieten.
Unter den Ladentischen stehen Körbe mit großäugigen, zart bewimperten
Drahtskulpturen. Aber nein, das sind keine Skulpturen, es sind Lamaföten. Wer
ein Haus baut, vergräbt auf dem Grundstück solch einen kleinen, ungeborenen
Körper; das bringt Glück.
Hartnäckig hält sich das Gerücht, in die Fundamente wichtiger Gebäude El Altos
seien lebende Menschen eingegossen worden (Betrunkene, die man von der Straße
holte) – die Götter verlangten nun einmal Menschenopfer. Andererseits: In
zahllosen Kellerlöchern und Garagen finden sich winzige, überfüllte
Internet-Cafés, in denen Jugendliche friedlich mit der virtuellen Welt
verkehren.
Wenn ein Fest gefeiert wird, benetzt man den Boden mit Tee, Bier, Schnaps. Erst
trinkt die Erde, dann trinkst du selbst. Für alles, was du nimmst, musst du
etwas geben. Und zu jedem Fest gehören Cocablätter. Man weiht mit ihnen die
Räume, man streut sie zum Abschied auf die Brust der Toten.
Die indigenen Bolivianer befinden sich auf permanenter Landflucht. Sie
verbringen ihr halbes Leben damit, die Entfernung zwischen Stadt (Markt,
Hospital, Schule) und Dorf zu überbrücken. Die Wegstrecken misst man mit einem
kuriosen Zeitmaß, der coqueda. Das sind etwa 90 Minuten; so viel Zeit braucht
man, um einen Ballen von Cocablättern, genossen mit etwas Pottasche, in der
Backentasche durchzukauen, bis sich die alkalische Wirkung der Blätter
entfaltet. Die coqueda ist der Triumph der Gleichmut über die Hoffnung. Sie
lindert Ungeduld, Schmerz, Hunger und Kälte. Eine Kaukugel als Symbol der
bolivianischen Entbehrungskultur. Mit ihr halten sich seit jeher die
Grubenarbeiter bis zur Erschöpfung wach; sie ist mit daran schuld, dass so viele
verunglücken. Allein in den Silberminen von Potosí sind im Lauf der Jahrhunderte
acht Millionen Menschen ums Leben gekommen.
Mit der Cocapflanze ist es wie mit allen Rohstoffen Boliviens: Wertvoll wird sie
anderswo. In Peru und Bolivien werden etwa 300000 Tonnen Cocablätter pro Jahr
geerntet. Der größte Teil davon taucht irgendwann, von Kolumbianern zu Kokain
verarbeitet, im Westen wieder auf.
Die Erfahrung, bestohlen zu werden, ist ein Grundmotiv. Bolivien fühlt sich als
reicher Mann, dem man die Schätze unter den Füßen weggräbt. 1879 hat das Land im
Krieg gegen Chile den Zugang zum Meer verloren. Eine größere Wunde konnte man
der Nation nicht schlagen: Man hat uns das Meer gestohlen. Seitdem gilt: Kein
Pazifik, kein Pazifismus! Noch heute müssen bolivianische Kinder flammende
Appelle an ihre chilenischen Altersgenossen schicken: Gebt uns doch das Meer
zurück!
Im Jahr 2003 machte der bolivianische Präsident Sánchez de Lozada einen großen
Fehler. Er wollte die bolivianischen Erdgasvorkommen in die USA verkaufen. Schon
das ein Affront. Schlimmer war: Der Handel sollte über Chile führen.
„Wir werden einen indianischen Präsidenten haben – oder Krieg“
Die Erbitterung des Volkes war groß. Im Oktober kam es zu Unruhen. Die Bergleute
rückten auf La Paz vor, viele warfen Dynamit. Die Bewohner El Altos blockierten
den Flughafen und die Versorgungswege nach La Paz. Lozada ließ die Blockaden
durchbrechen. Achtzig Menschen starben, und Bolivien war sich erstmals in seiner
Geschichte einig: Der Präsident hatte verspielt.
Lozada floh ins Exil nach Miami, von wo aus er seinen Grund- und Minenbesitz
regelt. In Augusto Céspedes’ Roman Teufelsmetall (1946) wird schon beschrieben,
wie Magnaten von Lozadas Schlag Bolivien aus der Ferne regieren: „Seine
Verdauung hat einen solchen Zustand der Vollendung erreicht, dass er noch aus 10
000 Kilometern Entfernung die Stoffe assimiliert, welche die Indianer seines
Landes mit Hilfe ausländischer Technik den Eingeweiden einer aufgebrochenen Erde
entreißen.“
Wir besuchen einen Künstler, der in seinem Werk die Geschichte Boliviens neu
erzählt. Jorge Sanjinés ist der bedeutendste Filmregisseur des Landes. In einem
Haus in der Altstadt unterhält der vollbärtige, melancholische Mann ein kleines
Kino und eine Filmschule. Welche Zukunft sieht er für sein Land? „Wir werden
einen indianischen Präsidenten haben“, sagt Sanjinés. „Oder wir werden
Bürgerkrieg haben.“ Gibt es Frieden zwischen den Ethnien? „Ich weiß es nicht.
Dies ist eine sehr rassistische Gesellschaft. Man verliert seine Familie, wenn
man in eine andere Ethnie einheiratet.“ Er selbst ist Criollo, ein Weißer, aber
er war 30 Jahre lang mit einer Aymara verheiratet. Sie starb kürzlich, und
Sanjinés trauert sehr um sie. Hat die Heirat ihn seine Familie gekostet? Er
nickt. Aber er bereut nicht, in den indianischen Kosmos eingetreten zu sein. „Im
Kapitalismus wie im Marxismus steht der Mensch über der Natur. Bei den Indianern
nicht. Der Indianer ist Teil seiner Umwelt und dann erst Individuum. Er ist nie
weniger frei, als wenn er allein ist.“
Die Kehrseite dieser Geborgenheit ist eine dörfliche Justiz, die auch in den
Städten bis zur Lynchjustiz führen kann. Vor ein paar Wochen erst haben sie in
einer Aymara-Gemeinde am Titicacasee den Ortsvorsteher umgebracht; seine Bürger
hatten ihn der Unterschlagung überführt.
Hier drängt es sich wieder auf, Schillers Bild von den wilden Kindern, die zu
Füßen des Europäers grausame Spiele treiben und „ihm in Erinnerung bringen, was
er selbst vormals gewesen und wovon er ausgegangen ist“. Jedoch, Bolivien zeigt
den Europäern nicht nur die Vergangenheit; es könnte wohl sein, dass wir darin
auch eine düstere Variante unserer Zukunft ahnen, das rabiat-kindliche Gewimmel
eines künftigen europäischen Stammeslebens. – Wir treffen Lupe Cajías, eine der
wenigen berühmten Frauen Boliviens. Sie ist die Antikorruptionsbeauftragte des
Staates, und sie hat gelernt, mit Drohungen zu leben. Ihre Arbeit besteht darin,
das auf Tausch, Nepotismus, Ahnenkult basierende Recht des Landes mit der (bis
vor kurzem streng korrupten) Justiz des Staates in Einklang zu bringen. Sie
sagt: „In Bolivien existieren die Zeiten parallel – Gegenwart und 18.
Jahrhundert. Es wird noch 30 Jahre dauern, bis indigene Kultur und Demokratie
zur Deckung kommen.“ Und doch sei dies ein historischer Moment: „Die indigenen
Politiker müssen jetzt die Verantwortung übernehmen. Es geht nichts mehr ohne
sie.“
La Paz schwankt im Geschiebe seiner Zeitebenen. Wir gehen zur Plaza Murillo.
Rund um den Präsidentenpalast hat sich eine halbe Hundertschaft Soldaten
zusammengezogen. Kameraleute rauschen in den Palast, der neue Präsident, Carlos
Mesa, gibt eine Audienz. An der Westseite des Platzes steht ein Haus, in dessen
Fassade etwa 40 Einschusslöcher zu sehen sind; die stammen vom Februar 2003.
Damals protestierten hier Polizisten gegen die neue Lohnsteuer, die ihre kargen
Gehälter noch weiter dezimierte. Soldaten wurden auf sie losgelassen, es gab
zwei Dutzend Tote. Östlich des Präsidentenpalastes steht das Parlamentsgebäude;
seine Fenster sind hohl. Hier hat sich vor Wochen ein arbeitsloser Minenarbeiter
in die Luft gesprengt.
Es kann in La Paz jederzeit losgehen: Volksaufstand, Putsch, Blockade. In der
Ferne hört man Feuerwerkskracher, unten auf dem Prado, der Prachtstraße, zieht
eine Demonstration dahin, vorbei am ausgebrannten Ministerium für Nachhaltige
Entwicklung. Irgendjemand demonstriert hier immer, und solange nur
Feuerwerkskörper detonieren, bewahren die Bewohner von La Paz ihre demonstrative
Ruhe.
Wir besuchen San Pedro. Das ist ein fensterloser Gebäudekomplex, etwa 15 Meter
hoch, der einen ganzen Straßenblock von La Paz einnimmt. San Pedro hat nur eine
Öffnung, die man durch eine Flughafensicherheitsschleuse betritt. Frauen mit
kleinen Kindern strömen hindurch, geben ihre Pässe ab, sehen mit an, wie
Soldaten die mitgebrachten Kartoffelsäcke mit Säbelstichen durchbohren. Dann
dürfen die Frauen ins Innere. Dies ist eine geschlossene Welt. Es gibt hier
Geschäfte, Schuhputzer, Orte zum Beten, ein Kino. San Pedro ist das
Männergefängnis von La Paz. Politische Gefangene, Diebe, Mörder halten es hier
miteinander aus. Es gibt unter ihnen keine Aufseher. San Pedro organisiert sich
selbst.
Durch die Gitter flüsternd erzählt er von seinem Mord
Wir gehen ans Gitter und rufen ein „Taxi“, einen Meldegänger heran. Für ein
Trinkgeld holt er uns den Mann aus dem Getümmel, den wir suchen. Es ist Oscar
Mamani, der Mann, der vor 20 Jahren seinen Boss erschoss. Der Boss war
Gutsbesitzer und Mamani sein Verwalter. Mamani, ein massiger Aymara, flüstert
durchs Sprechgitter, er erzählt uns von seinem Mord. Er habe diesen Mann, einen
Schinder und Sadisten, nicht erschießen, nur erschrecken wollen; leider habe er
ihn doch getroffen. Der Tote war ein Cousin von Sánchez de Lozada, der damals
noch nicht Präsident, aber schon ein hohes Tier war. „Lozada wollte meine
Hinrichtung“, sagt Oscar Mamani, „man hat mich aber nur zu 30 Jahren Gefängnis
verurteilt.“
In San Pedro hat er seinen Schulabschluss und ein Jura-Fernstudium gemacht. Er
ist zum Sprecher der Gefangenen aufgestiegen und wirkt im Getümmel ruhig, vom
Status gestrafft. In Oscar Mamani verkörpert sich die Misere des indigenen
Boliviens. Seine innere Freiheit, seine prekäre Würde ist von Unglück, Mangel,
Unfreiheit überformt und vielleicht sogar durch sie bedingt.
In ein paar Wochen soll Mamani begnadigt werden. Er wird sein Land nicht
wiedererkennen. Er wird gezwungen sein, es mitzugestalten.
Von Peter Kümmel
DIE ZEIT 09.06.2004, Nr. 25