SCHATTENSPIELE AUF JAVA

Ein großer Teil der Ausstellung der Abteilung Südasien ist dem Thema Masken-, Marionetten- und Schattenspiel gewidmet. Objekte aus Java, Thailand, Indien, Ceylon und Burma sollen einen Eindruck von der Vielfalt, der Vielschichtigkeit aber auch von gemeinsamen Grundzügen der Theater- und der ihr nahestehenden Kultwelt Süd- und Südostasiens geben. Im Mittelpunkt steht dabei das Spiel mit Schattenfiguren und Puppen. In diesen Kreis gehören auch, mit Ausnahme der Krankheitsdämonen aus Ceylon, die Maskenspiele, denn der maskierte — aber ebenfalls nicht sprechende — Darsteller ersetzt lediglich eine Schattenfigur oder Puppe. Die Ausstellung erhebt in regionaler und sachlicher Hinsicht keinen Anspruch auf vollständige Behandlung des Themas, sondern will in vergleichender Form einen Einblick in eine fremde und in Europa wenig bekannte Theater- oder Kultform vermitteln.

Das Schattenspiel-, Puppen- und Maskentheater hat zweifellos in Java eine besondere Bedeutung erlangt. Hier ist das Spiel mit den Schattenfiguren nicht nur am ältesten und am meisten differenziert, sondern nimmt auch im Leben des Volkes einen hervorragenden Platz ein. Bis heute hat sich, wenn auch nicht so stark wie auf Bali, etwas von seinem magisch-religiösen Charakter bewahrt. Das Wayang-Spiel (jav.: wayang = Schatten, Schattenbild, Gespenst) ist ursprünglich weit davon entfernt gewesen, bloße Unterhaltung für den Zuschauer zu sein. Wie tief die Wurzeln des Wayang in die Vergangenheit der javanischen Geschichte zurückreichen, ist bis heute nicht geklärt, doch wird wayang-kulit (jav.: kulit = Leder), ein Spiel mit flachen, farbigen Lederpuppen, bereits um 1.000 n. Chr. in der javanischen Literatur als ein beliebtes und verbreitetes Spiel  erwähnt.

Auch die Frage, ob das Schattenspiel in Java erdacht und entwickelt wurde, oder ob es die Javanen aus einer anderen asiatischen Kultur übernahmen, läßt sich kaum beantworten. Es haben zweifellos starke Beziehungen zum indischen Theater bestanden, jedoch lehnen sich nur die Themen der Stücke eng an die berühmten indischen Epen an, eine Ähnlichkeit der Figuren ist hingegen nicht festzustellen.

Man darf wohl annehmen, daß dem Wayang-Spiel von Anfang an eine religiöse Bedeutung innewohnte. Der Javane sah in den Figuren und ihren Schattenbildern die materialisierte Silhouette der Geister seiner Ahnen. Somit wurde das Wayang-Spiel Bestandteil eines magischen Zeremoniells, der Spieler zum Priester, der den Kontakt zwischen den Menschen und einer übersinnlichen Welt herstellte. Noch heute bestehen diese magischen Eigenschaften des Spiels. Man versucht, mit Aufführungen des wayang-kulit drohendem Unheil zu begegnen. Wer sich unter der Zuhörerschaft des Dalang (jav.: dalang = Spieler) befindet, ist während der ganzen Nacht — eine Aufführung dauert vom Abend bis zum Morgen — vor bösen Einflüssen sicher. Aus solchen magischen Gründen wird das Wayang-Spiel auch vorzugsweise an wichtigen Lebensabschnitten aufgeführt, wie Geburt, Geburtstagen, Hochzeiten, Ernennungsfeierlichkeiten usw.

Im Verlauf der Jahrhunderte haben sich mehrere Wayang-Arten herausgebildet, bei denen verschiedene Typen von Puppen Verwendung finden. Vor der großen Wand "Schattenspielfiguren und Masken aus Java" (Plan 11, Nr. 19) werden alle gebräuchlichen javanischen Figuren und Masken gezeigt.

Der wayang-kulit, auch als wayang-purwa  (jav.: purwa = erster, ältester) bezeichnet, ist zweifellos die älteste und populärste aller Wayang-Formen. Im wayang-kulit werden flache, kaum transparente, bemalte Figuren aus Büffelleder benutzt (s. Mitte und rechten Teil der Schattenspielwand). Die Figuren haben einen Stiel aus Hörn, Holz oder Bambus, mit dem sie der Spieler halten oder in einen Bananenstamm stecken kann, wenn er mehrere Personen gleichzeitig auftreten lassen muß. Beweglich sind nur die Arme. Sie werden an kleinen Stäben geführt.

 

 

 

 

 

 

Im wayang-klitik werden ebenfalls flache Figuren verwendet, die den Lederpuppen sehr ähnlich sehen (s. links oben an der Schattenspielwand). Bei ihnen sind jedoch mit Ausnahme der Arme, die wie im kulit aus Leder bestehen, Kopf, Körper und Haltegriff aus Holz gefertigt. Auch diese Puppen sind vielfarbig bemalt oder vergoldet. Die Führung der Arme erfolgt ebenfalls durch Stäbe, ihre Bewegungsmöglichkeit ist wie im kulit auf Schulter- und Ellbogengelenk beschränkt. Wayang-klitik ist bei weitem nicht so beliebt wie wayang-kulit und wird auch nur selten gespielt.

Jünger als die bisher erwähnten Wayang-Formen ist der wayang-golek (jav.: golek = rund). Die hier gebrauchten Puppen (s. links unten an der Schattenspielwand) sind dreidimensional und gänzlich aus Holz hergestellt. Die Führung der Arme entspricht der im kulit und klitik. Der Kopf steckt auf einer Holzspindel, die durch den Körper geht und ebenfalls drehbar ist. Es ergeben sich daher für die golek-Figuren viel größere Bewegungsmöglichkeiten und eine gewisse Natürlichkeit im Spiel. Auch diese Puppen sind bemalt und überdies bekleidet. Wayang-golek ist besonders in West-Java bekannt und wird dort gern gespielt.

Zum Kreis der Wayang-Spiele gehören auch die Tänze des wayang-topeng. In dieser Wayang-Art sind die Puppen durch maskierte Tänzer ersetzt. Die Darsteller können, da die Masken mit dem Mund gehalten werden, nicht sprechen, und dem Dalang kommt hier eine ähnliche Aufgabe zu wie bei den Puppenspielen. Die Tänze sind indisch beeinflußt, geistig jedoch mit alten javanischen Maskentänzen verwandt. Der zeremonielle und magische Charakter blieb erhalten. Der hinduistische Einfluß zeigt sich vor allen Dingen in Formelementen, zum Beispiel in symbolischen Handhaltungen, den rau-dras. Gruppentänze sind im wayang-topeng nicht bekannt, alle Personen treten einzeln auf. Topfeng-Masken werden an der Schattenspielwand ganz rechts gezeigt.

Im Aussehen gleichen alle verwendeten Puppen und Masken im Prinzip denen des wayang-purwa. Für die klitik- und golek-Figuren sowie für die Masken ist die Freiheit in der Ausgestaltung jedoch etwas größer als bei den Lederpuppen, deren Herstellung nach ganz bestimmten starren Regeln geschehen muß. Dennoch, alle Wayang-Figuren sind stilisiert, alle Figuren sind Darstellungen von Typen. Details in Haltung des Kopfes, Form des Gesichts oder Stellung des Körpers sowie die Bemalung drücken bestimmte charakterliche Eigenschaften der Personen aus. So zeigen alle edlen Typen eine gerade Stirn-Nasen-Linie, eine fein gezeichnete Nase und langgezogene, geschützte Augen. Dämonische Typen hingegen haben eine gewinkelte Stirn-Nasen-Linie, ungeschlachtete Nasen und kugelrunde Augen. Im wayang-kulit fallen rohe, dämonische Charaktere auch noch durch eine gespreizte Beinhaltung auf. Ein besonderes Kennzeichen der kulit- und klitik-Figuren ist die stark verlängerte Schulterlinie. Durch diese weite Auslage entstehen sehr eckige Bewegungen, die als außerordentlich typisch in die Wayang-Tänze übernommen wurden. Gesichter werden immer im Profil dargestellt (ausgenommen sind natürlich die Masken), die Körper sind oft frontal gedreht. Die Füße zeigen nach einer Seite. Auch durch die Gesichtsbemalung können Charakterzüge angedeutet werden. Kräftiges Rot z. B. weist im allgemeinen auf rohe, gewalttätige und schlecht erzogene Typen hin.