Quelle: Deutsches Weltgebetstagskomitee - Weltgebetstag 2000 - Indonesien S. 27- 29
Gewürze, die Geschichte machten
Die erste Weltumseglung unter dem Kommando des Ferdinand Magellan war eines der kühnsten Unternehmen der Menschheitsgeschichte. Der Portugiese in spanischen Diensten sollte auf dem West-Ost-Wege an die Schätze gelangen, die auf der Ostroute zu jener Zeit bereits in portugiesischem Einflußbereich lagen: Die Molukken, auch Gewürzinseln genannt. 1991 war es 470 Jahre her, daß nach unsäglichen Opfern und Gefahren zwei der fünf Segelschiffe Magellans diese legendären Eilande erreichten. Es war am 8. November 1521. Gewürze sind zum Schicksal der Männer um Magellan geworden. Gewürze haben die Geschichte der Molukken bis in die Gegenwart geprägt, nicht zum Vorteil ihrer Bewohner.
Zwei verschiedene Geruchswolken schweben über den Molukken im Osten Indonesiens: Schwer und faulig-fett die Dünste der Kopra, des weißen Fruchtfleischs der Kokosnüsse - über dem Hafen von Tobelo beispielsweise im Norden der Insel Halmahera - eher eine Beleidigung der Nase denn eine Anregung des Geistes. Leicht und voll süßlicher Verführung dagegen der Duft der Gewürznelken - über den Vorplätzen der Moscheen auf der Insel Ambon beispielsweise -, eine sinnliche Herausforderung des Gemüts. Zum Trocknen sind die nagelförmigen Nelkenstengel ausgebreitet. Tausende, abertausende verströmen in dörrendem Sonnenlicht ihr Bukett. Das ist der Duft, der die Europäer angezogen und zu mörderischen Abenteuern angelockt hatte: Gewürze, die Geschichte machten. Auf Ambon steigt einem noch heute etwas davon in die Nase. Eine Handvoll solcher Gewürze mag heute ein harmloser Anblick sein: Pfefferkörner, Gewürznelken, Muskatnüsse, Zimtstangen. Na und? Welch begehrliches Funkeln dies in den Augen eines Europäers des 14. Jahrhunderts weckte, können wir uns heute kaum mehr vorstellen. Wie auch! In jeder Frittenbude stehen Pfefferstreuer; die Regale der Lebensmittelabteilungen in den Kaufhäusern quellen über mit Spezereien, erschwinglich für jedermann. Sich auszumalen, daß eine Handvoll heute alltäglicher Zutaten einst der Sprengstoff war, der wesentlich die Verhältnisse aufgeheizt hat, die Europa aus seinem finsteren Mittelalter in die Neuzeit katapultierten, dies bedarf einiger Phantasie und Fakten.
"Heute spricht man von Rohstoffen, früher sagte man: Gewürze." Der Satz von Friedrich Sieburg ist einige Jahrzehnte alt. Um den Vergleich spektakulärer auszudehnen, läßt sich anstatt allgemein "Rohstoff auch "Rohöl" sagen. Beides - das Öl und das Gewürz - kommt in besonderem Maße nur in außereuropäischen Regionen vor. Beides ist zu seiner Zeit ein eminent wichtiger Wirtschaftsfaktor. Beides verteuert sich vom Ursprungsland bis zum Verbraucher um horrende Summen. Beides ist Gegenstand weltumspannender Spekulation, die die Kassen derer füllt, deren Namen von den einstigen Fuggern bis zu den heutigen Mineralöl-Konzernen jedes Kind kennt. Beides läßt sich in der jeweiligen Epoche durch kein heimisches Erzeugnis wirklich ersetzen. Beides wird hauptsächlich dort gefunden, wo die Moslem das Sagen haben. Beides ist mit dem Fluch beladen, der die Menschen zum Wahnsinn bringt, um Öl und Gewürze Kriege zu führen und die ganze Welt auf den Kopf zu stellen.
Übertrieben? Nun, was der Kampf ums Öl noch bescheren wird, muß die Zukunft zeigen; was der Kampf um Gewürze in Bewegung gebracht hat, ist die Geschichte, deren Erbe und Opfer wir alle sind. Strapazieren wir den Vergleich noch etwas: So wie das Erdöl zum Inbegriff westlichen Wohlstandes geworden ist, nämlich Wärme, Bewegung und Ernährung für jedermann ermöglichend wie nie zuvor, so enthielten die exotischen Gewürze den verführerischen Geschmack des besseren, erfüllteren Lebens. Dafür gibt es ein paar sehr praktische Erklärungen. Der mittelalterliche Mensch lebte in einer eng begrenzten Welt, die weder Reizmittel wie Kaffee, Kakao oder Nikotin kannte, noch in der Lage war, zur Konservierung anderes als Salz und Kräuter von den eigenen Fluren beizugeben. Auf verschlungenen Handelswegen, die fest in arabisch-islamischer Hand waren, kam aus dem Osten die anregende Ahnung, daß es zwischen Himmel und Erde Vielfältigeres gebe, als die mittelalterliche Beschränkung im Abendlande erscheinen ließ; aus dem Osten kam in Gestalt der würzigen Körner, Blätter, Samen, Hölzer, Rinden das Feuer des Verlangens. Es ist nicht übertrieben, in den Gewürzen das Rauschmittel unserer Ahnen zu sehen.
Der Biß aufs Pfefferkorn, aufs sündhaft teure, ließ Mangel bewußt werden und machte das Abendland süchtig. Mehr, noch mehr davon, forderten die Fürstenhäuser, und immer begehrenswerter erschien auch den kleinen Leuten das kostbare Zeug. Eine Handvoll barg ein Vermögen. Das Monopol der arabischen Zwischenhändler auf den asiatischen Landwegen auszuschalten und eigene, neue Wege zu suchen, um an diese Rohstoffe zu gelangen, wurde zur Triebkraft jener maritimen Entdeckungsvorstöße über die Ozeane, die Europas Vormachtstellung der folgenden Jahrhunderte begründete. 1498 war den Portugiesen mit Vasco da Gamas Landung an der indischen Westküste der Durchbruch gelungen; um Afrika herum hatte sich das Tor zur asiatischen Wunderwelt geöffnet. Die Eroberung Malakkas 1511 war die letzte Bastion, die die Portugiesen auf dem Wasserweg zu den Molukken zu stürmen hatten. Die Spanier konnten zwar nach der epochalen Amerika-Entdeckung des Kolumbus ihren erobernden Stiefel auf den Boden der Neuen Welt setzen, doch den Gewürzen waren sie damit nicht nähergekommen. Deshalb traf die Idee des Ferdinand Magellan in seinem portugiesischen Heimatland auf taube, bei den Spaniern jedoch auf offene Ohren. Er versprach die Suche nach einem neuen Seeweg, der abseits portugiesischer Besitzansprüche verlaufen sollte, nämlich in West-Ost-Richtung um den Erdball, also gewissermaßen von hinten, was schließlich zur ersten Weltumseglung und zur Entdeckung der nach Magellan benannten Straße an der Südspitze Lateinamerikas führte. Sie ermöglicht die Passage vom Atlantischen zum Stillen Ozean. Magellan kam bei einem Kampf auf der philippinischen Insel Mactan um, aber zwei seiner Schiffe erreichten nach 27 Monaten Fahrt die Inseln in den nördlichen Molukken.
"Nun aber, am 8. November 1521, landen sie auf Tidore, einer der fünf seligen Inseln, von denen Magellan sein Leben lang geträumt", so beschreibt Stefan Zweig in seiner Magellan-Biographie die Ankunft. Der Chronist Antonio Pigafetta, der zu den Überlebenden aller Qualen dieser Reise gehörte, notierte damals als Augenzeuge: "Es gab Nelken, Ingwer, Sago, Reis, Kokosnüsse, Mandeln von ungewöhnlicher Größe, süße und bittere Apfelsinen, Zuckerrohr, Kokos-Öl, Sesam-Öl, Melonen, Gurken, Ananas und andere eßbare Flüchte und Gemüse mehr. Es gab Ziegen und Geflügel, Honig von wilden Bienen, weiße und farbige Papageien, die leicht sprechen lernten." Der Jubel des Augenzeugen Pigafetta hat in Zweigs Buch ein Echo gefunden. Enthusiastisch schrieb er: "Selige Inseln: Alles, was die Spanier begehrten, bekommmen sie hier in Fülle ... Die Seeleute sind verzaubert von so viel Glück nach all den Leiden und Entbehrungen; wie toll kaufen sie Gewürze und die kostbaren Paradiesvögel; sie geben ihre Hemden, ihre Flinten, ihre Armbrüste, ihre Mäntel, ihre Leibriemen in Tausch, denn jetzt geht es ja bald an die Heimkehr, und als reiche Leute kehren sie mit diesen lächerlich billig erhandelten Schätzen zurück."
Weniger euphorisch klingt die Bilanz der von Magellan vorangetriebenen ersten Weltumseglung, wenn man bedenkt, daß die menschlichen Opfer ungeheuerlich waren. Von den 265 Männern, die 1519 westwärts gesegelt waren, kamen fast drei Jahre später nur 18 Überlebende in der Heimat an. Die anderen waren den Entbehrungen, den Strapazen, den kriegerischen Eskapaden erlegen oder in Gefangenschaft geraten. Die Verluste an Schiffen und Material waren groß. Von den fünf Schiffen, die diese erste Reise um den Erdball begonnen hatten, erreichte ein einziges wieder den spanischen Heimathafen. Ein Schiff war desertiert, drei waren untergegangen oder verbrannt. Aber mit seiner Bewertung hat Stefan Zweig völlig recht: Das Geschäft hatte sich gelohnt - wenn auch nicht für die Teilnehmer, sondern für die Geldgeber dieser abenteuerlichen Expedition, unter ihnen auch die Pfennigfuchser aus dem Hause Fugger. Die Laderäume des einzigen heimkehrenden Schiffes, der "Viktoria", waren prall mit Gewürzen aus den Molukken gefüllt. Der Profit aus dem Verkauf deckte nicht nur die Kosten dieser ersten Weltumseglung, er brachte den Bankiers und Spekulanten in Europa sogar einen Gewinn. An dieser Art Handel hat sich in den folgenden Jahrhunderten nicht viel geändert. Das große Geschäft machten immer die anderen, selten die Molukker selbst. Für die Europäer lohnte es sich, um die paradiesischen Verlockungen zu streiten. Und sie stritten sich.
Den Portugiesen, die von Malakka aus 1511 in die Molukken vorgedrungen waren, fiel bei der Eroberung des südöstlichen Asiens nur die Rolle der Wegbereiter zu. Ihnen gelang es, sich an einigen Orten festzusetzen, Festungen zu bauen, Niederlassungen zu gründen, Handel zu treiben und Handelswege gewinnbringend zu kontrollieren. Aber die eigentlichen Herren vermochten sie in dieser Weltecke ebensowenig zu werden wie die Spanier, die verhaßten Konkurrenten, die mit der Magellanschen Expedition von der anderen Seite gekommen waren. Schutzverträge mit den untereinander zerstrittenen regionalen Fürsten sicherten Einflußbereiche. So war beispielsweise Ternate den Portugiesen verbunden, als die Männer Magellans auf der Nachbarinsel Tidore landeten. Doch solche Verträge und Allianzen waren vielfach kurzlebiger als das Pergament, auf dem sie geschrieben standen.
Die Portugiesen hatten das Konzept der Entdeckungen entwickelt, sie hatten Ansätze der Eroberung verwirklicht, aber sie schafften es in Südostasien nicht, so dauerhaft und so profitabel Fuß zu fassen wie die Spanier in den Philippinen (als eine Folge der Magellanschen Intervention) oder die Nation, die schließlich im Kampf um die Molukken und Gewürze als Sieger an allen Fronten hervorgehen sollte: Holland.
Im 16. und 17. Jahrhundert bereicherten die Holländer die europäischen Globalgelüste um ein neues Macht-Instrumentarium, das nicht nur eine Politik der Stützpunkte erlaubte, sondern die monopolistische Durchdringung eines gesamten Archipels und die allmähliche Anpassung seiner Wirtschaftsstruktur an die holländischen Wünsche. "Vereenigde Oostindische Compagnie" hieß dieses neue Konzept der Macht, Vereinigte Ostindische Kompanie. Deren Signum - VOC - gewann einen ähnlichen symbolischen Gehalt wie das christliche Kreuz.
Mit der Gründung der VOC im Jahr 1602 und mit der holländischen Niederlassung in Batavia begann das neue Kapitel in der Unterwerfung Südostasiens durch eine europäische Vormacht. Holland verfügte über einen großen multinationalen Konzern, der alle Bereiche umfaßte: Vom Transport und dessen militärischer Sicherung bis zur Verwaltung im Erzeugerland und der Vermarktung in Europa. In Batavia hatten die Holländer ein Zentrum, von dem aus die vielfältigen Fäden dieses Unternehmens fest zusammengehalten werden konnten. Mit dieser Konzentration der Handelsinteressen, der militärischen Macht und der administrativen Abwicklung war die Voraussetzung geschaffen, das kommerzielle Monopol auch gewaltsam durchzusetzen; mehr noch: Mit diesem Instrumentarium war die Basis gelegt worden, auf der später das holländische Kolonialreich Ostindien entstehen konnte.
Die VOC hatte eine folgenschwere Komponente eingeführt, die dem beginnenden Zeitalter des europäischen Kolonialismus entstammte: Nicht einfach mit Waren zu handeln, nicht nur aufzukaufen, was die lokalen Märkte anzubieten hatten, mehr oder weniger den Launen der Natur und den Zufällen einheimischer Interessen ausgeliefert zu sein, war der Holländer Absicht gewesen. Sie wollten mit Blick auf die Gewinne in Europa bereits in den Anbaugebieten nach ihren Wünschen eingreifen. Seit den ersten Jahrzehnten des 17. Jahrhunderts begnügten sich die Holländer nicht mehr mit der Rolle der Zwischenhändler. Sie begannen, das Wirtschaftsgefüge nach ihren Profiten zurechtzustutzen. Was die Bäume der Gewürznelken und der Muskatnüsse betraf, so ist das wörtlich zu verstehen. Die Zahl wurde festgelegt. Kein Mensch der Molukken durfte mehr nach eigenem Ermessen pflanzen und ernten. Der Preis der Gewürze wurde mit dem Beil nach den holländischen Bilanzen korrigiert. Um ein Überangebot zu verhindern, das die Profite gedrückt hätte, mußten nicht lizensierte Bäume gefällt werden. Das einzige, was die Bewohner der Molukken als einträgliches Gut über ihre Inseln hinaus zu verkaufen hatten, war ihrer Entscheidung und Verfügbarkeit entzogen worden. Die Ruinen von portugiesischen und holländischen Festungen auf Inseln wie Ternate, Ambon und Banda sind noch heute steinerne Zeugen jenes europäischen Machtanspruchs. Ob die einheimische Bevölkerung darunter zugrunde ging - und Hungersnöte waren die Folge -, galt in europäischen Augen als unwichtig. Der natürliche Reichtum wurde den Molukkem zum Fluch. Ohne die Gewürze, um deretwegen sich die europäischen Mächte in einen maritimen Wettlauf um den Erdball eingelassen hatten, wäre die Geschichte der Molukken, wäre die Geschichte Südostasiens anders verlaufen - wahrscheinlich ruhiger und unblutiger.
aus: KITA 1/95 Rüdiger Siebert