Quelle: südostasien 2/2006 S. 52-54


33 Kinder teilen sich das rituelle Schwein

Ehrungs- und Beerdigungszeremonien in Nord-Sumatra

Als die Erde am 26. Dezember 2004 bebte und sich das Meer daraufhin zurückzog, wussten die Bewohner der Insel Simeulue vor Sumatra, dass sie in die Berge rennen mussten. Dieses Wissen ist von der Generation weitergegeben worden, die den Tsunami von 1908 mitbekommen hat. Hier hat das Wissen der Alten also noch eine große Bedeutung.

Ichwan Azhari und Rosa Grabe

Als Übermittler von Traditionen genießen die Alten nach wie vor hohes Ansehen. Auch wenn im Rahmen der Modernisierung bestimmte Lebensbereiche insbesondere technischer Natur den Jungen vorbehalten bleiben, gelten die Alten nach wie vor als Vermittler der zentralen, kulturellen Werte. Die Jüngeren werden oft als die »Dummen« angesehen, sprechen sie doch häufig nicht mehr die Sprache der Herkunftsregion oder wissen nicht, wie man sich bei bestimmten Ritualen verhalten soll.

In Medan und in anderen Teilen Sumatras gibt es eine Einteilung in sieben Altersklassen:

0-1 Jahre 2-12 Jahre 13-19 Jahre 20-49 Jahre 50-60 Jahre 60-70 Jahre über 70 J.
Bayi Anak-anak Remaja Muda Separoh Baya Sudahtua Kakek-kakek
Baby Kinder Jugendlicher jung nicht alt nicht jung schon alt Großväter

Natürlich gibt es wie überall Generationskonflikte. So schämen sich die jüngeren Leute in Nias oder bei den Karo Batak (Nord-Sumatra) Betelnüsse zu kauen, weil diese die Zähne und den Speichel rot färben, die Alten schwören aber auf die starken Zähne, die man dadurch bekommt.

Auch sind die Angehörigen der alten Generation meist religiöser als ihre Nachkommen. Sie lesen im Angesicht des Todes verstärkt den Koran oder die Bibel, reisen nach Mekka oder erfüllen ihre sonstigen religiösen Pflichten. Allerdings spielt hier die Nächstenliebe keine große Rolle, eher wird versucht, sich den entsprechenden Status im Nachleben zu sichern.

Bei den Karo Batak ist es nicht erlaubt, die Schwiegereltern des anderen Geschlechts anzusprechen, neben ihnen zu sitzen oder auch nur auf der gleichen Straßenseite zu gehen. Möchte also ein Mann die Schwiegermutter ansprechen, so muss er den Kopf zur Wand drehen. Dies ist ein Zeichen von Respekt, soll aber auch sexuelle Beziehungen verhindern.

Die Residenz der Toba Batak nach der Heirat ist matrilokal, die Männer ziehen also zur Familie der Frau. Traditionell bleiben die Eltern wie auf Nias im Alter bei einem Sohn. Dieser Brauch wird als paradox empfunden und schon lange nicht mehr praktiziert, die Eltern bleiben lieber bei einer der Töchter, die Familien der Söhne sind ihnen meist zu fremd.

Zeremonie für die Freiheit

Die Toba Batak zelebrieren den Brauch des sulang sulang hariapan (»die Leute füttern«), eine Zeremonie, die von den Kindern eines alten und schwachen Ehepaares ausgeführt wird, wenn alle ihre Nachkommen verheiratet sind und es schon viele Enkel gibt. Sobald genug Geld zusammen gekommen ist, werden Wasserbüffel besorgt und die ganze Familie eingeladen. Wasserbüffel spielen in vielen indonesischen Kulturen eine wichtige zeremonielle Rolle. Es ist genau festgelegt, wer welchen Teil des Büffels mit nach Hause nehmen und auch abschneiden darf. So ist zum Beispiel die Familie des Onkels des Geehrten für die Tötung des Büffels verantwortlich. Jedes Mitglied der Familie nimmt eine bestimmte Rolle ein, die seine Position in der Familie repräsentiert und somit identitätsstiftend ist.

Kopf und Schwanz des Büffels, die als Sitz der Seele gelten, gehen an die Kinder der Geehrten, welche die Zeremonie organisiert und bezahlt haben. Die Rückgabe dieser Körperteile sorgt dafür, dass die Seele des sakralen Tieres in der Familie bleibt. Der Zweck der Zeremonie ist es, die Alten von den sozialen Lasten zu befreien.

Die Toba Batak haben ein komplexes System an sozialen Pflichten, die jeder befolgen muss. So ist man verpflichtet, bei Festen von Nachbarn oder Familienangehörigen Geld oder materielle Güter an die Veranstalter zu spenden und zu den Zeremonien zu kommen, auch wenn dafür ein weiter Weg in Kauf genommen werden muss. Beim gotong royong, der gemeinschaftlichen Arbeit, ist jedes Mitglied der Gemeinschaft oder Familie dazu verpflichtet, seine Arbeitskraft zur Verfügung zustellen, zum Beispiel um ein Feld zu bestellen oder die Kirche zu säubern. Dies alles müssen die Alten nach dem Ritus nicht mehr leisten.

Durch die Zeremonie werden die Alten also als »gesellschaftlich tot« erklärt und erhalten so die Freiheit nur noch Dinge zu tun, zu denen sie Lust haben. Sie erhalten eine besondere soziale und religiöse Position in der Gesellschaft, welche saur mertua genannt wird.

Mit viel sakraler Musik (gondang sabangunan) und Tanz wird die Feier eingeleitet. Die Geehrten sitzen an einem besonderen Platz und tragen entweder auf dem Land traditionelle Trachten oder in der Stadt Anzüge beziehungsweise Kostüme. Ihre Kinder füttern sie dann mit Reis, Gemüse und Büffelfleisch. Auch das Herz des Tieres ist ihnen vorbehalten.

Durch den Status saur mertua wird den Alten Respekt erwiesen, die Kinder drücken durch diese Zeremonie auch ihren Dank und Stolz aus. Durch das Füttern wird symbolisiert, dass sie ab jetzt nicht mehr für andere verantwortlich sind, sondern, dass man sich jetzt um sie kümmert. Dieser Statuswechsel ist sehr wichtig, und kinderlose Paare werden bedauert, weil sie diesen Übergang nie erreichen können. Wohl auch deshalb streben die Batak an, möglichst viele Kinder zu zeugen. Ein Sprichwort besagt, dass 16 Töchter und 17 Söhne genau richtig wären: Maranak sapuluh pitu, Marboro sapuluh onam. Früher hatten die Batak-Könige viele Frauen, um dieses Ziel zu erreichen. Jetzt verbietet dies die Kirche. Trotzdem heiraten einige Männer ein zweites Mal, wenn sich die erste Frau als unfruchtbar erweist. Durchschnittlich haben die meisten Batak Familien sechs bis sieben Kinder, aber auch elf bis zwölf kommen durchaus vor. Wichtig ist, dass mindestens ein Sohn dabei ist.

Ohne Kinder hat man keine Chance saur mertua zu werden, und auch die Zeremonie am Grab entfällt, die ebenfalls erheblich zum Status beiträgt.

Luxusgräber für alte Gebeine

Bei den Königsfamilien der Batak sind die Gräber in verschiedenen Ebenen angeordnet. Stirbt ein Mitglied der Familie, so wird es in die unterste Ebene gelegt. Die Knochen des vorher Verstorbenen werden eine Ebene darüber eingebettet. So wird durch den Zeitpunkt des Todes der Status festgelegt, und länger Verstorbene steigen in der Hierarchie auf.

Die Gräber der Toba Batak unterscheiden sich erheblich untereinander. Zunächst gibt es meist in der Stadt oder entfernt vom Geburtsort ein normales, christliches Grab. Allerdings können die Kinder der Verstorbenen erst wieder gut schlafen, wenn sie nach einigen Jahren das Geld zusammen haben, um die Mangongkal Holi (Knochen heben)-Zeremonie abzuhalten, in der die Knochen in ein großes Familiengrab (Tugu) gebracht werden.

Familiengrab (tugu) auf Pulau Samosu (Tobasee)

Quelle: www.caingram.info

Diese Gräber werden in einem Mix aus traditionellen Batak-Elementen, christlichen Symbolen und persönlichen Vorlieben gestaltet und sind so groß, dass mehrere Generationen darin Platz haben. Man findet Abbildungen der Verstorbenen, einen Mercedes oder ein Flugzeug, wenn die Eltern sich das so gewünscht haben oder das Kind, welches das Grab finanziert, denkt, dies entspräche deren Wunsch. Je reicher die Nachkommen, umso verzierter das Grab.

Der Vorsitzende der Beamten (kepala BAKN) A. E. Manihuruk hat in den 1980ern eine Milliarde Rupiah (90.909 Euro) für das Grab seiner Eltern ausgegeben. Das Dorf, aus dem er stammte, blieb arm. Diese Praxis hat seit Jahren Kritik hervorgerufen. Als Alternativen haben Studenten vorgeschlagen, Denkmäler zu errichten, auf denen die Namen der Verstorbenen vermerkt sind sowie die Spenden, welche die Nachkommen in deren Namen für das Dorf aufgebracht haben. So könnten beispielsweise Wasserpumpen oder dringend benötigte Kanäle finanziert werden. Allerdings hat dies noch niemand umgesetzt. Im Gegenteil, es ist ein richtiger Wettkampf entstanden. Je höher (damit es jeder sehen kann), je bunter, umso besser. Auch die dazugehörige Zeremonie kann bis zu sieben Tage und sieben Nächte dauern. Wird die Feier in Medan oder Jakarta abgehalten, weil die ganze Familie dort lebt, versucht diese, einen Vertreter aus dem Dorf dazuzuholen. Viele Gäste, viel Essen, viel Geld, hoher Status.

So fließt das Geld, welches die Eltern jahrelang in die Bildung der in die Städte abgewanderten Kinder gesteckt haben, nicht zurück ins Dorf, sondern nur in das Statussymbol Tugu. Generationen, die einen Teil ihres Lebens in der Stadt verbracht haben und auch dort gestorben sind, verlangen trotzdem, dass zumindest ihre Knochen nach ein paar Jahren an den Tobasee, das Siedlungsgebiet der Toba Batak, zurückgebracht werden. Im Laufe der Zeremonie werden die Knochen ausgegraben und in eine mit weißem Stoff ausgelegte Bambusschale gebettet. Diese bleiben dann über Nacht in einer Kirche und werden am nächsten Tag zu dem jeweiligen Tugu gebracht. Die ganze Familie kommt zusammen, singt und betet. Traditionell gab es allerdings keine Tugu, dies ist eine neuere Entwicklung. Ausgedrückt wird aber auch hierdurch: Genealogie strukturiert die Gesellschaft, die Statuspflege der eigenen Verstorbenen hat Vorrang vor dem Wohl der Dorfgemeinschaft.

In Süd-Nias wohnen die Alten bei ihrem ältesten Sohn. Mit der Tochter leben zu müssen gilt als Schande, auch wenn diese reicher ist als ihr Bruder. Selbst, wenn der Sohn schon gestorben ist, bleiben die Eltern lieber bei der Schwiegertochter, als zu einer ihrer Töchter zu ziehen. Sie können dies nicht spezifisch begründen. Das sei Tradition und die Leute redeten schlecht, wenn diese nicht befolgt werden würde.

Die Beerdigung eines Elternteiles muss von allen Kindern gezahlt werden. Sich nicht daran zu beteiligen, bedeutet Schande und zieht allerlei Konsequenzen nach sich. Auch wenn die Kinder arm sind, müssen sie das Geld für die Zeremonie aufbringen, um die Seelen der Toten nicht zu verärgern, die nach dem Tod noch ein paar Tage im Dorf bleiben, bis sie durch Zeremonie befreit werden. Erst wenn Schweine geschlachtet wurden, gilt der Verstorbene als wirklich tot. Die Kinder der Toten haben ohne vollzogenes Ritual für ihre Eltern auch später keine Chance, ein gutes Einkommen zu erlangen.

Je nach Status und Geschlecht wird bei der Beerdigung eine bestimmte Anzahl von Schweinen geschlachtet. Stirbt eine alte Frau, werden beispielsweise zwei Schweine geschlachtet. Stirbt ein alter Mann, der einen hohen Rang hatte, können auch mal bis zu 15 Schweine geschlachtet werden.

Im Dorf Bawomataluo gibt es zehn verschiedene Gruppen, die hierarchisch angeordnet sind. Stirbt jemand aus einer hohen Gruppe, müssen seine Nachkommen an die Untergruppen Schweine verteilen. Auch wenn das heißt, dass die eigene Gruppe oder Familie keine abbekommt. Die verschiedenen Körperteile der Schweine symbolisieren einen bestimmten sozialen Rang, und so bekommt jede soziale Gruppe ein anderes Körperteil. Der Kopf geht wieder zurück an den »Kopf« der Gesellschaft, die höchste Gruppe. Der Schwanz geht an die zweithöchste Gruppe, die viele rituelle und soziale Pflichten zu erfüllen hat.

Wenn nicht genügend Körperteile für die jeweiligen Gruppen vorhanden sind, so bekommt ein Teil des Dorfes seinen Anteil bei der nächsten Beerdigung. Für alles gibt es streng festgelegte Regeln, die sich von Dorf zu Dorf etwas unterscheiden.

Stirbt jemand aus einer niedrigeren Gruppe, so werden entsprechend weniger Schweine geschlachtet, da diese nur mit der eigenen Familie geteilt werden müssen.

Schweine und Büffel als Identitätsstifter

Bei den Niassern wird durch das Teilen der Schweine zum einen sichergestellt, dass die Seele des Verstorbenen das Dorf verlassen kann und somit auch die Hinterbliebenen in Frieden weiterleben können. Zum anderen wird hiermit aber auch die Gesellschaftsstruktur bestätigt, in dem jedem sein entsprechender Teil vom Schwein zugeteilt wird.

Bei den Batak spielt die Schlachtung des Büffels eine ähnliche Rolle für die Familienstruktur. Beides sind identitätsstiftende Rituale, die bei anderen Ethnien nicht (mehr) zelebriert werden, was unter anderem auch zum Identitätsverlust führt.

Ichwan Azhari ist Dozent für Soziologie ander Uni in Medan und leitet das Institut für indonesisch-deutsche Zusammenarbeit in Medan. Rosa Grabe ist Ethnologin und Südostasienwissenschaftlerin und arbeitet in verschiedenen Projekten in Aceh.


Südostasien 2 2006