Quelle: http://www.sidihoni.com/index.php?option=com_content&task=view&id=138&Itemid=100
Auszüge aus:
Sidihoni - Perle im Herzen Sumatras I
Stationen und Bilder einer Feldforschung.
Von Leben und Bestattung,
Tradition und Moderne
bei den Toba-Batak.
Von Christine Schreiber boru Malango
"......Die Exhumierung bzw. Bergung der Gebeine bereits Verstorbener ist ein
besonderes soziales Ereignis und dem Zweitbestattungsfest vorgelagert.
Lineageweise oder im größeren Familienverband versammeln sich die Angehörigen
samt ihrer Hula-Hula (Frauenspender) und Boru (Frauenempfänger) zu gemeinsamem
Essen, Gebet und Opfergabendarreichung an die Verstorbenen, um sich anschließend
zusammen auf die Suche der Erstbestattungsstätten ihrer Verwandten zu machen.
Diese können - manchmal seit mehreren Generationen - ohne auffallende Markierung
inmitten der Kaffee- und Nelkengärten liegen oder in einem modernen Familiengrab
aus Beton gelagert worden sein.
Die Ältesten identifizieren die Stellen und nach der Erlaubniserteilung durch
die direkten Nachfahren beginnen die Boru mit der Grabung. Um das Erdloch
scharen sich die Dorfbewohner einschließlich der Kinder, um mit Spannung die
Entdeckung der ersten Gebeine mitzuerleben. Eine weibliche Boru, z.B. eine
Urenkelin des Verstorbenen, kniet nahe am Rand der Grube, um in einem weißen
Ehrentüchlein die ersten Knochen, bevorzugt die des Schädels, entgegenzunehmen.
Wird aufgrund zu starker Verrottung kein Stückchen Knochen mehr gefunden, kann
stellvertretend von der dunkleren, humushaltigeren Erde oder eine eventuell zum
Vorschein gekommene Grabbeigabe genommen werden. In der Regel gibt die Erde die
reinen Knochen wie bei einer archäologischen Ausgrabung frei. Von erst kürzlich
Verstorbenen, vielleicht vor ein bis zwei Jahren, stößt man auf ihre Holzsärge,
die aufgehauen werden müssen, um an die menschlichen Überreste zu gelangen. Dies
ist die Aufgabe der männlichen, oft noch unverheirateten Enkel. Sie schälen die
Knochen an Ort und Stelle frei von restlicher Kleidung oder von Haupthaaren,
wobei durch die feuchte Tropenwärme das Fleisch meist schon verrottet ist.
Beim Auffüllen der Grube wird eine ein bis drei Meter hohe Bananenstaude zum
Anwurzeln in die Erde gesetzt. Nach zwei Jahren trägt sie Früchte und schiebt
zahlreiche vegetative Sprößlinge, so wie die Nachfahren es bei sich selbst gerne
sehen würden.
Andere Verstorbene werden aus Betonmausoleen geborgen. Nach dem Aufmeißeln ihrer
Öffnungen kriechen die Helfer hinein zu den darin gelagerten Holzsärgen meist
mehrerer Familienangehöriger mehrerer Generationen. Im trockenen Innern dieser
Grabhäuser herrschen andere mikrobische Verhältnisse, so daß erst jüngst
Verstorbene noch am Vermodern sein können. Modern gewordene, chemische
Konservierungsmethoden halten den Verfall zusätzlich auf. Die Exhumierung dieser
noch nicht komplett bis auf die Knochen verrotteten Verstorbenen ist im
Vergleich zur jahrhundertealten Tradition eine Neuentwicklung und entsteht aus
einem modernen gesellschaftlichen Drang zur Eile. Gewiß stellt sie eine
besondere, auch psychische, Herausforderung an die Anwesenden dar.
Die Frauen nehmen an den Grabstellen alle auffindbaren Knochen entgegen,
reinigen und färben sie mit Gelbwurzel zur anschließenden, gemeinsamen
Ausstellung der Gebeine aller Exhumierten auf dem Dorfplatz. Besonders würdevoll
und aufmerksam werden dabei die Schädel behandelt. Mehrmals streichen die Frauen
beim Herrichten mit ihrer Handinnenfläche über die Schädeldecken ihrer Eltern
und Großeltern und fahren anschließend über ihr Gesicht, um sich deren Segen-
und Ahnenkraft, das Sahala, einzuverleiben.
Heute beherrschen nur noch ganz wenige, alte Frauen den traditionellen
Klagegesang mit Bruchstücken der altbatakschen Sprache. Sie begleiten das Bergen
und Reinigen der Gebeine, das phasenweise durch christliche Gebete und Liturgie
abgelöst wird. Sollten hierbei Verwandte in starke Traurigkeit fallen, kümmern
sich die Anwesenden sofort mit wiegenden und streichelnden Umarmungen um jene,
und wie in fast allen Lebensbereichen erleben die Kleinsten in ihren
Tragetüchern alle Aspekte mit.
Die gefärbten, sortierten Knochen werden einen Tag vor dem großen
Bestattungsfest personenweise in blau-schwarze traditionelle Webereien, die Ulos,
gewickelt. Die Bündel mit den Überbleibseln der Verstorbenen werden alle ins
Stammhaus des Lineage-Ältesten getragen und unter Anwesenheit ihrer näheren
Verwandten in einer gemeinsamen, festähnlichen Veranstaltung in ihre jeweiligen
Miniatursärge gebettet...."