30. Jahrgang Nr.5 August / September 2005
Die Christianisierung Sumatras
Seit beinahe 20 Jahren hält die christliche Gemeinschaft Perki ihre Gottesdienste und Bibelstunden in unserem Gemeindezentrum in der Ferdinandstraße. Als unsere Gastgemeinde ist sie uns deshalb lange bekannt. Zweimal im Jahr feiern wir miteinander Gottesdienste. Deshalb ist es naheliegend, ein Mitglied von Perki zum Jahresthema unseres Gemeindeblattes „Mission" zu befragen.
Die Ereignisse der vergangenen Jahre haben den Inselstaat Indonesien immer wieder in die Presse gebracht. Da war der Tsunami vor 8 Monaten, der die Provinz Aceh verwüstete, der Terroranschlag auf der Insel Bali und die Auseinandersetzungen zwischen Muslimen und Christen auf den molukkischen Inseln.
Indonesien ist aber ein hochkomplexer Staat mit 14 000 Inseln, auf denen 300 verschiedene Völker leben. Darunter Minderheiten von Chinesen, Arabern, Indern und Pakistani. Diese Vielfalt spiegelt sich auch in der Zahl der Sprachen und Dialekte. Es gibt 170 malayopolynesische und zahlreiche Papua-Sprachen neben der Amtssprache Bahasa Indonesia,. 87 % der Einwohner Indonesiens sind Muslime, 6,5 % Protestanten und Angehörige von Pfingstkirchen und rund 3% Katholiken.
Von den 2% Buddhisten und Konfuzianern sind die meisten Chinesen. Es gibt auch Anhänger von Naturreligionen.
1950 wurde der Rat der Kirchen in Indonesien gegründet zu dem heute 58 protestantische Kirchen gehören. Drüber hinaus gibt es noch zahlreiche andere christliche Gemeinschaften.
Mein Interviewpartner, Herr Naek Djaoloan Hutabarat, ist ein älterer Herr, der seit mehr als 30 Jahren in Hamburg lebt. In seiner Heimat Sumatra war er Nationalsekretär des CVJM und arbeitete im Nationalen Rat der Kirchen mit. In Hamburg studierte er Gesellschaftsgeschichte und Wirtschaft und war als Firmenberater tätig.
Litschel: Herr Hutabarat, in welchem Gottesdienst fühlen Sie sich in Hamburg zu Hause?
Hutabarat: Meine Gemeinde in Hamburg ist die indonesische ökumenische Gemeinschaft Perki und die lutherische Matthäusgemeinde. Ich besuche die Gottesdienste beider Gemeinden und fühle mich in beiden zu Hause.
Litschel: Aus welcher Kirche in Indonesien kommen Sie?
Hutabarat: Ich gehöre zur Christlich-Protestantische Toba- Batak- Kirche (HKBP) auf Sumatra. Sie entstand in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts durch die Missionstätigkeit der Rheinischen Mission. Seit 1940 ist die HKBP selbständig. Mit 2,4 Millionen Mitgliedern ist sie die größte protestantische Kirche Indonesiens.
Litschel: Wie ist diese Kirche entstanden?
Hutabarat: Ich gehöre zum Volk der Batak auf Sumatra. Im 19. Jahrhundert gab es verschiedene Versuche des Westens, die Batak zum Christentum zu bekehren. Das scheiterte, weil die Missionare als Kolonisatoren auftraten, die Kultur und Sprache der Batak nicht kannten und auch nicht kennen wollten. Die Batak haben diese Leute abgelehnt, und die Missionare haben voller Bitterkeit Sumatra verlassen.
Litschel: Was brachte dann die Veränderung hervor?
Hutabarat: Der Umschwung kam mit dem Missionar Ingwer Ludwig Nommensen. Von Anfang an konnte Nommensen mit den Menschen in ihrer eigenen Sprache reden. Er lernte die Kultur der Batak kennen und fühlte sich in ihr Denken ein. Das war der Schlüssel zu seinem Erfolg. Er trat eben nicht als Kolonialherr auf, sondern respektierte die Kultur der Batak.
Missionar D. L. I. Nommensen
Nommensen kam aus Deutschland von der Insel Nordstrand. Als nach einem schweren Unfall sein Bein amputiert werden sollte, bat er Gott, es ihm zu erhalten. Gott erhörte seine Bitte und Nommensen beschloss, Missionar zu werden. Er kam aus einer sehr armen Familie und lernte früh körperlich hart zu arbeiten als Knecht und als Eisenbahnarbeiter. In Wuppertal besuchte er 4 Jahre lang das Seminar der Rheinischen Mission und kam 1861 nach Sumatra.
Litschel: Wie sind die Batak ihm begegnet?
Hutabarat: Die Batak sind sehr kritische, eigenwillige und dynamische Menschen. Sie haben Nommensen geprüft, bevor sie ihn akzeptierten, und er hat die Prüfung bestanden. Er befreundete sich mit einem batakschen Fürsten Pontas Lumbantobing, der ihm half, Zugang zu den Batak zu bekommen
Litschel: In welcher Situation befanden sich die Batak-Völker auf Sumatra, als Nommensen auf der Insel ankam?
Hutabarat: Die Batak waren damals regelrecht durstig nach etwas Neuem. Sie wollten sich entwickeln, Neues dazulernen und Nommensen kam in einer günstigen Stunde. Er brachte den Batak ein Christentum, das sie verstanden. Erstaunlicherweise stellten sie fest, dass sie den christlichen Gott, den Nommensen ihnen predigte, schon kannten, nämlich in ihrer ursprünglichen animistischen Religion. Vieles, was Nommensen ihnen vermittelte, war ihnen also gar nicht neu, es wurde aber neu geordnet und neu benannt. Der ursprüngliche Glaube der Batak und die Bibel gehören zusammen. Wirklich: die Batak kannten Gott schon vor den Missionaren!
Gleichzeitig half das Christentum mit, das Land der Batak für neue Entwicklungen und für den Fortschritt zu öffnen. Nommensen war nicht nur ein gläubiger Mann, er verstand gleichzeitig etwas von Wirtschaft, Architektur, medizinischer Versorgung und Landwirtschaft. Seine Kenntnisse gingen mit dem Wissen der Batak eine glückliche Symbiose ein.
Nommensens großer Erfolg beruhte also auf Respekt und Einfühlung und darauf, dass er den Menschen Entwicklung und Fortschritt eröffnete. Er vermittelte das Evangelium so, dass auch das Alltagsleben der Batak, die Wirtschaft und die Kultur davon profitieren konnten.
Litschel: Wie lange brauchte es, bis Nommensen die erste Gemeinde gründete?
Hutabarat: 1861 gründete Nommensen die Batak-Mission in Sipirok. 1865 ließen sich die ersten Einheimischen taufen. Später folgten Tausende diesem Beispiel. Die Tobanesen schlossen sich sippen- und stammesweise dem christlichen Glauben an. Es entstand eine regelrechte Volkskirche, die durch Nommensen eine Struktur erhielt. Auch diese Struktur wurde der Kultur der Batak angepasst: den Häuptlingen wurden kirchliche Aufgaben übertragen. Die Kirche wurde in die soziale Struktur des batakschen Gemeinwesens eingewurzelt. Die Prediger, Ältesten und Lehrer waren alles Einheimische, die von
Nommensen ausgebildet wurden. Nommensen wurde „Ephorus" der Batak-Kirche, nicht Bischof. Das ist wichtig, denn es zeigt etwas von unserem demokratischen System. Als Nommensen 1918 starb, umfasste die Kirche bereits 500 Gemeinden.
Die Batak-Kirche (HKBP,) die aus dem Wirken von Nommensen hervorging war so erfolgreich, dass Bürger- und Christengemeinde fast in eins fielen. Alle Stämme der Batak wurden christlich. Die Batak-Kirche ist heute die größte Kirche in Südostasien. In der Batak-Kirche arbeiten 1200 Pastoren, 72 Hilfspastoren, 93 Bibelfrauen und 49 Diakonissen.
Lischel: Welche Folgen des Wirkens von Nommensen sehen Sie bis heute?
Hutabarat: Wenn wir Batak in späteren Jahren die Kraft hatten, gegen die Kolonialherren aufzubegehren und unsere Unabhängigkeit zu erstreiten, dann hat das etwas mit der Art des Christentums zu tun, das Nommensen nach Sumatra gebracht hat: ein Christentum, das unsere Wurzeln respektiert und unser Selbstbewusstsein stärkt. 1945 haben wir eine einseitige Unabhängigkeit von den Niederlanden erklärt und damit auch die indonesische Menschenrechtscharta verabschiedet. Wir sind stolz darauf und ich denke, der christliche Glaube hat uns dabei geholfen.
Außerdem ist es für die Batak-Kirche (HKBP) im Unterschied zu anderen christlichen Kirchen in Indonesien besonders wichtig, sich sozial-diakonisch zu betätigen, auch das ist eine Folge unserer besonderen Missionsgeschichte.
Litschel: Herr Hutabarat, ich danke Ihnen für das Gespräch.
Ulrike Litschel