Aus: Viet Nam Kurier 2/2001 Markt-Tage Eine Liebesgeschichte von Nguyen Van Hoan Der Liebesmarkt war ihrer Meinung nach ein Ort, wohin endlos
leidende verheiratete Frauen gingen, um ihr Leid mit ihrem alten Schwarm zu
teilen. Nur ein einziges Mal im Jahr trafen sie sich auf dem Liebesmarkt von Sa
Pa. Wie konnten sie ihr ganzes Leid miteinander teilen? "Nein, niemals! Wenn ich erwachsen bin, werde ich einen jungen
Mann zum Heiraten finden, den ich liebe, und dann werde ich nie zum Liebesmarkt
gehen müssen", beschloß H’nia bei sich. Auch Apao hatte nicht die Absicht, zum Liebesmarkt zu gehen.
Nach der Arbeit im Maisfeld war alles, was er wollte, eine Schale Pho-Suppe in
Sa Pa. Und wenn er jemanden zum Kreiselspielen fände, würde er diesen Nachmittag
nach Herzenslust spielen. Obwohl er beim vergangenen Sai San-Fest mehrere Tage
lang den Kreisel geschlagen hatte, war er dessen noch immer nicht
überdrüssig. Die Zukunft des Liebesmarkts von Sa Pa lag im Ungewissen. Schon
die Bezeichnung war verschwommen. Zum Liebesmarkt gehen konnte einfach bedeuten:
zum Markt gehen. Der eigentliche Markt öffnete am Tage, aber der Liebesmarkt,
nur für diejenigen sichtbar, die nach ihm suchten, begann bei Einbruch der
Dunkelheit. Einige Paare trafen sich auf dem Markt in der Nähe des
Stadtzentrums, in einer engen Gasse, gesäumt von provisorischen Ständen, die
alle möglichen Feldfrüchte, Brokatstoffe und andere nützliche Dinge für die
Angehörigen der H‘Mong, Dao, San Diu, Lo Lo und weiterer ethnischer Minderheiten
anboten. Andere Paare verbrachten nur kurze Zeit auf dem Marktplatz und zogen
sich dann auf die umliegenden Bergkuppen zurück, wo sie ungestört miteinander
reden, Lieder singen, einander umarmen und Liebe machen konnten. Ausländer und Leute aus dem Flachland kamen nach Sa Pa, um Dao-
und H’Mong-Mädchen in ihren farbenprächtigen Trachten mit dem Kopfputz aus
Brokat zu sehen, oder um Produkte aus dem Wald zu kaufen wie frischen
Bienenhonig. Aber nicht danach stand Apao der Sinn. Er betrat eine
Suppenküche, stellte seinen Korb ab, legte sein gebogenes Messer auf die Bank
und bestellte zwei Schalen Pho. Er schlang die Nudeln hinunter und bestelle
weitere Portionen, bis er nicht mehr konnte. Dann bummelte er über den Markt,
bewunderte die Angebote der verschiedenen Stände. Wie schön die Sachen waren! Es
war schon spät am Nachmittag, als er H’nia sah. Er wandte sich sofort von den
Auslagen ab und folgte ihr. "Was für ein schönes H’Mong-Mädchen", sagte er
sich. H’nia hatte die Bambussprößlinge und den Honig verkauft und
ging zu Frau Noi, die auf der Straße Schals und Röcke feilbot, um die sich die
Touristen drängten. Nur auf der Straße konnte sie alle ihre Waren an Ausländer
und Leute aus dem Flachland verkaufen. Als Frau Noi ihren ganzen Vorrat los
geworden war, hatte H’nia noch einige Schals übrig, als vier einheimische
Jugendliche sie belästigten und überallhin verfolgten. Auf Frau Nois Schimpfen
erwiderten sie nur, da H’nia keine silberne Halskette trage und auch kein
fünffarbiges Band um ihr Handgelenk geschlungen sei, hätten sie das Recht, sie
zu umwerben. H‘nia war sehr wütend, konnte aber nichts ausrichten. Sie hatte
sich vorgenommen, vor Einbruch der Dunkelheit alles zu verkaufen, um nach Hause
gehen zu können, denn wenn sie bliebe, würde man sie für ein Mädchen auf dem Weg
zum Liebesmarkt halten. Jedesmal, wenn sie an den Liebesmarkt dachte, ging ein
Schaudern durch ihren Körper. Als Apao bemerkte, daß vier andere H’nia mit vulgären
Bemerkungen verfolgten, stellte er sie ärgerlich zur Rede: "Schämt Ihr Euch
nicht, so zu reden?" Sie dachten, Apao wolle sie für sich haben. Einer von ihnen
rief: "Mit welchem Recht machst Du mir Vorschriften?" Ein anderer ließ
herausfordernd seine Muskeln spielen: "Du willst das Mädchen wohl auch haben?
Dann mußt Du erst mit uns kämpfen!" Apao hatte keine Angst, aber hier wollte er keine Schlägerei.
"Hier sollten wir uns lieber nicht schlagen, wegen der Polizei. Ihr könnt Euch
mit mir im Kreiselspiel messen. Wer gewinnt, kann sie haben." Die Herausforderung wurde sofort angenommen, denn die Vier
mochten das Spiel auch. Sie gingen zu einem weiten Platz vor der Kirche. Apaos
Kreisel aus hartem cam lai-Holz machte kurzen Prozeß mit zwei Kreiseln, die
aus weicherem Holz gefertigt waren. Ein weiterer Junge nahm seinen Kreisel und
ging weg, so daß nur noch einer der Vier übrig blieb. Der Wettstreit blieb lange
unentschieden - beide Kreisel bestanden aus cam lai-Holz - und wurde so heftig
geführt, daß er eine große Zahl neugieriger Marktbesucher anzog. Nach der 15. Runde bereitete Apao seinen Schlag sorgfältig vor,
traf sein Ziel, und der gegnerische Kreisel ging entzwei. Apao war der Sieger.
Er rannte weg von der Kirche in die engen Gassen auf der Suche nach H’nia. Er
konnte sie nirgends finden, weder oben auf dem Paß noch unten auf dem Markt. War
er zu spät dran? Am Nachmittag hatte er sie gesehen, frei wie ein Vogel im
Dschungel. Jetzt konnte der Vogel überall und nirgends sein. Apao fühlte sich
niedergeschlagen und beunruhigt. Sie hatte vielleicht alles verkauft und war
schon zu ihrem Übernachtungsquartier gegangen. Aber dann erblickte er sie an der
Ecke einer kleinen Straße, wie sie erhitzt mit einem Ausländer um den Preis
eines Schals feilschte. Apao trat hinter sie, nahm dem Kunden den Schal aus der Hand
und legte ihn in den Korb zurück. Er lud sie zu einer Schale Pho in einer nahen
Suppenküche ein. Nachdem sie gegessen hatten, faßte er mit einer Hand in ihren
Korb: Unter ihren kärglichen Sachen lag kein Kassettenspieler. Diese Entdeckung machte ihn ganz aufgeregt. H’nia war ein
unbescholtenes Mädchen. Er wußte, daß diejenigen, die zum Liebesmarkt gingen,
immer eine Kassette mit Liebesliedern mitbrachten. Nach dem Markt saßen die
Mädchen oft in Gruppen bei den leeren Buden beisammen. Später kamen die Jungen
und standen um sie herum. Wenn sie nicht singen wollten, ließen sie einfach in
einer modernen Version ihres traditionellen Liebeswerbens Kassetten die Lieder
spielen. Dann fanden Paare zueinander und suchten sich ein ruhiges Plätzchen, wo
sie im Gras auf der ausgebreiteten Decke saßen und lagen. H’nia war nicht so
eine, sie hatte nicht die Absicht, sich einen Liebhaber zu suchen. Apao und H’nia unterhielten sich nur kurze Zeit, als Frau Noi
auftauchte, die H’nia gesucht hatte, und die beiden zogen sich in ein Gasthaus
zurück. Frau Noi sagte ihr, sie solle sich bald schlafen legen, damit sie am
Morgen früh den Heimweg antreten könnten. Die ganze Nacht wälzte sich Apao im Bett herum und dachte an
H’nia. Er fürchtete, sie nicht mehr wiederzusehen. Am nächsten Morgen stand er
sehr früh auf, um sie am Straßenrand abzupassen. Als sie kam, hielt er ihre Hand
lange Zeit fest in der seinen und versicherte, sie würden einander am Markttag
in einem Jahr wieder treffen. *** Dann aber, zwei Reisernten später, war etwas geschehen. Im
Frühling war Apao volljährig geworden. Am diesjährigen Markttag würden sie sich
treffen und die Vorbereitungen für ihre Hochzeit besprechen. Apaos Familie hatte
es geschafft, genug Reis, Alkohol und einige Schweine zusammen zu bringen, und
H’nias Familie hatte eine Decke und einige Kissen für sie gemacht. Apao war
frühzeitig beim Treffpunkt und wartete mehrere Stunden auf sie. Schließlich kam
sie mit schweren Schritten den Hügel herauf. Apao rannte hinunter, um sie
willkommen zu heißen. Er hatte sie kaum erreicht, als sie weinend zusammenbrach.
Er half ihr auf und führte sie zu der alten Fichte. In dieser Nacht berichtete
sie ihm, wie Api, der Sohn eines Bezirksbeamten, sie entführt hatte. *** Apao war wie betäubt vor Schmerz. Wenn H’nia sterben sollte,
würde er auch sterben. Zu sterben war nicht so schwer. Sie mußten nur eine
Handvoll ngon-Blätter essen. Aber würden sie als Geister zusammentreffen können,
würden sie ihre verlorene Liebe beklagen können? Apao besann sich. Er würde
nicht sterben. H’nia war überrascht über diese Entscheidung. Apao sammelte sich und tröstete sie: "Es ist schon immer so
gewesen: wenn zwei Liebende bei den H’Mong einander nicht heiraten können, dann
treffen sie sich auf dem Liebesmarkt. Uns bleibt immer noch unser eigener
Liebesmarkt bei der alten Fichte." Als Ausgleich für ihr Los würden sie diese
Nacht miteinander schlafen. Sie kehrten nach Hause zurück und von da an warteten sie jedes
Jahr auf ihre Liebesmarkt-Tage. Apao heiratete, und H’nia bekam einen Sohn. Im
folgenden Jahr gingen sie wieder zum Liebesmarkt. Sie trafen sich an der alten
Fichte und erzählten einander, was das Jahr über in ihrem Leben geschehen
war. Apao berichtete, daß er ein Mädchen aus seinem Dorf geheiratet
habe. Drei Monate nach dem Hochzeitstag war seine Frau ihm immer noch
gleichgültig. In den pechschwarzen Nächten ging er mit seinen Freunden einen
trinken, und in mondhellen Nächten spielte er mit ihnen die Flöte und machte
jungen Mädchen den Hof. Niemand konnte ihn am Trinken und Flirten hindern, denn
das war H’Mong-Tradition. *** Sie würde früher oder später kommen, und er würde sie töten, um
seine Wut und seinen Haß zu stillen. Aber nachdem er eine Weile hinter einem
Busch auf sie gewartet hatte, überlegte er es sich anders. Er würde H’nia leben
lassen, damit sie ihre Kinder aufziehen könnte, die ihm so ähnlich sahen. Er
schlug auf die Büsche rund um die Fichte ein und schnitt eine tiefe Kerbe in den
Baum, bevor er sich stumm auf dem Heimweg machte. Nachdem der Tourist sie losgelassen hatte, irrte H’nia lange
verstört herum. Dann kam sie mit dem Gedanken an ihren Liebesmarkt-Tag wieder zu
sich. Bei der Fichte angelangt, wußte sie Bescheid. Aber sie wartete und
wartete. Wenn Apao kommen und sie töten würde, dann wäre das in Ordnung, dachte
sie. Allein bei dem Baum dachte sie daran, was ihr in der
vergangenen Nacht widerfahren war. Am Eingang zum Hotel hatte der Mann einige
Schals und Röcke zu einem hohen Preis gekauft, viel höher als üblich, und sie
aufgefordert, mit ins Hotel zu kommen, um das Geld zu holen. Er hatte ihr etwas
zu trinken gegeben, und daraufhin war sie ohnmächtig geworden. Jetzt hatte sie alles verloren. Apao würde nicht zu ihr
zurückkehren. Sie hatte niemand, den sie auf dem Liebesmarkt treffen könnte. Ja,
manche gingen auch allein zum Liebesmarkt, aber das war nach dem Tod ihrer
Geliebten. Am Ort ihrer ersten Begegnung sangen sie dann die alten Lieder. Das
Singen heiterte ihr schweres Herz auf, da sie glaubten, die Geister ihrer
Partner könnten sie hören. Doch Apao war nicht tot und war kein Geist. So saß H’nia bei
der Fichte und sang, aber Apao konnte die Lieder nicht hören und nichts über ihr
schreckliches Erlebnis in der vergangenen Nacht erfahren. Am nächsten Morgen
erwachte H’nia sehr früh. Im Wald suchte sie nach ngon-Blättern, sammelte ein
Bündel davon und kehrte zu der alten Fichte zurück. Sie würde unter diesem Baum
sterben, so würde die Erinnerung an ihre Markt-Liebe ewig anhalten. Aus ihrem
Regenmantel und der darübergebreiteten Decke machte sie sich ein Lager.
Erinnerungen an ihre Liebe überstürzten sich in ihrem Kopf, und sie fühlte sich
einsam wie nie zuvor. Sie mußte weinen, weil sie diese Welt allein verlassen
sollte. Wo war Apao in diesem Augenblick? Würde er jetzt ihre Gefühle verstehen?
Aber als sie dabei war, die ngon-Blätter in den Mund zu stecken, dachte sie an
ihre Kinder Asung und Apai, zwei heilige Andenken an Apao. Nein, sie durfte
nicht sterben. Sie kehrte zurück in ihr Dorf auf dem Gipfel des Pu Luong, um ihr
bitteres Leben fortzuführen. *** Quelle: VNS 6.5.2001, aus dem Englischen von Van Minh übersetzt
von Marianne Ngo