Ein besonderes Erbe - Seite 5

 


In Eversberg habe ich noch kein Hinweisschild zum Ort des Massakers gefunden, und das "Sühnekreuz" in Meschede steht nicht am Ort des Geschehens, sondern in der Kirche Mariä Himmelfahrt (Ein Exemplar eines Flyers von 2012 und der Dokumentation von „pax christi. Internationale katholische friedensbewegung. Basisgruppe Meschede“ von 1987 (u.a.) befinden sich im Stadtarchiv Meschede in Grevenstein).

Aber was sagen Zahlen aus? Um wie viel stärker ist der Eindruck, wenn man wirklich die Grabsteine sieht – und nicht die bloßen Zahlen 57+71+80=208?

Im Internet kann man Photos finden, die einen kleinen Eindruck davon geben, worunter auch meine Mutter ihr ganzes Leben lang gelitten hat:

Mass Grave identification: Identifikationsversuch bei einem der 57 am 3. Mai 1945 nahe Suttrop exhumierten Mordopfer.(Bild: U.S. Signal Corps – United States Holocaust Memorial Museum – Foto 80466

https://collections.ushmm.org/search/catalog/pa11274

Am Massengrab „russischer Zwangsarbeiter“ nahe Suttrops. Ein Captain der US-Army nimmt Informationen zur Identifikation eines Mordopfers auf. Aufnahme vom 3. Mai 1945. (U.S. Signal Corps – United States Holocaust Memorial Museum – Photograph 80470
https://collections.ushmm.org/search/catalog/pa11279

Mass Graves Suttrop 1945. Deutsche Zivilisten (vermutlich vorrangig örtliche NSDAP-Mitglieder) graben nach Weisung der US-Amerikaner die nahe Suttrop am 3.5.1945 gefundenen 57 ermordeten „Russen“ aus. (U.S. Signal Corps – Yad vashem Photo Archive – Archial Signature 2545

http://collections.yadvashem.org/photosarchive/en-us/37089_36524.html und

https://upload.wikimedia.org/wikipedia/commons/7/76/Mass_Graves_%28Suttrop%29_1945.jpg?uselang=de

Mass Grave outside. Eine sauerländische Mutter zieht, ihre Kinder schützend, an dem am 3.5.1945 nahe Suttrop entdeckten Massengrab der ermordeten 57 Frauen und Männer vorbei. (U.S. Signal Corps – United States Holocaust Memorial Museum – Foto 08197

http://collections.ushmm.org/search/catalog/pa1085040


Davon hat mir meine Mutter, die damals 18 Jahre jung war, erst kurz vor ihrem Tod erzählt. Das war das, was sie nicht mit ins Grab nehmen wollte und mir als ein besonderes Erbe weitergegeben hat.

Das Buch mit den vielen Zeitungsausschnitten und Briefen war mir eine wunderbare Hilfe, und wie glücklich wäre ich gewesen, wenn ich es schon bei meinem ersten Besuch in Meschede gefunden hätte. Stattdessen sahen mich die Mitarbeiter im Rathaus zunächst ratlos an, als ich sie nach den Toten befragte, von denen ich im Buch der Bundeszentrale für politische Bildung gelesen hatte.

Wie oft verhindern tatsächliche oder auch nur vermeintliche Schuldzuweisungen eine Empathie mit den Opfern, und wie oft verschwindet jegliches menschliche Gefühl hinter Zahlen.

Aber Gräber und Grabsteine, auf denen einzelne Namen stehen, ermöglichen einen persönlichen Zugang. Wenn man den russischen Vornamen „Iwan“ auf einem Grabstein liest, ist es nicht mehr möglich, „der Iwan“ zu sagen, ohne an einen Menschen mit Haut und Haaren zu denken; allein diese beiden Grabsteine auf dem Friedhof der LWL in Warstein

und auf dem "Franzosenfriedhof" in Meschede

sagen so viel mehr als lange sprachwissenschaftliche Artikel darüber, was es bedeutet, wenn man "der Iwan" (oder "der Jude" oder "der Russe" oder "der Amerikaner" oder oder oder) sagt.

Wie wichtig sind diese Grabsteine – nicht nur für mich wegen meines besonderen Erbes. (Es sind nicht Ermordete der drei Massaker, aber eben auch Zwangsarbeiter, die in und an ihrer Haft gestorben sind.) Die Grabsteine sind für die nachfolgenden Generation so wichtig. Was können diese völlig unvorstellbaren Zahlen sagen: 55 Millionen Tote des Zweiten Weltkrieges – darunter alleine 27 Millionen Bürger der Sowjetunion - oder sechs Millionen beraubte und ermordete Juden oder 3,5 Millionen sowjetische Zwangsarbeiter oder 500 000 Sinti und Roma oder 250 000 "psychisch Kranke" und so viele Andere? Manchmal ist es ein einziges Bild eines einzigen Menschen, der uns Menschen verstehen lässt, was „damals“ "passierte" und warum es nie wieder Krieg geben darf.


Ein deutscher Zivilist hält den im Massengrab bei Suttrop am 3. Mai 1945 ausgegrabenen toten Säugling in den Händen. (U.S. Signal Corps – United States Holocaust Memorial Museum – Foto #80118

http://www.ushmm.org/search/results/?q=80118) und https://commons.wikimedia.org/wiki/Category:Arnsberg_Wood_Massacre?


Ein besonderes Erbe - Seite 5

 

Startseite