Aufführung eines Schattenspiels (Aus: DuMont Richtig reisen - Indonesien, Köln 1991, S. 115-117)


"..........Die unbestreitbar wichtigste Person bei einem Schattenspiel ist der Dalang. Er ist Regisseur, Schauspieler und Dirigent in Personalunion. Ein Puppenspieler gilt als sozial hochangesehene Persönlichkeit; er hatte früher sogar die Bedeutung eines Priesters, der die Verbindung zwischen den Lebendigen und den Toten herstellte. Auf Java existieren spezielle Dalang-Schulen, in denen die Studenten eine jahrelange harte Ausbildung absolvieren müssen. Die virtuose Leistung eines guten Dalang ist kaum vorstellbar: Er führt nicht nur mit großem manuellem Geschick die Figuren, sondern spricht auch alle Rollen, wozu er die verschiedenen Ebenen der altjavanischen Sprache fließend beherrschen muß. Darüber hinaus hat er bisweilen auch zu singen und vor allem das Gamelan-Orchester zu dirigieren (mit einem Hämmerchen aus Horn oder Hartholz, das er sich zwischen die Zehen geklemmt hat, klopft er an die neben ihm stehende Kiste). Beeindruckend vor allem ist die enorme Gedächtnisleistung eines Dalang, denn es ist eine unabdingbare Voraussetzung, dass er sämtliche Texte (Lakon) auswendig beherrscht. Ein Puppenspieler, der das Publikum in seinen Bann ziehen will, muss aber auch ein ausgezeichnetes Improvisationstalent besitzen. Die Handlungen der Personen sind zwar festgelegt, doch die Gründe für das Handeln der Helden werden durch den Spieler immer wieder neu interpretiert. Ein guter Dalang versteht es während seiner Aufführung auch, aktuelle Bezüge herzustellen, beispielsweise die jeweiligen politischen Verhältnisse kritisch unter die Lupe zu nehmen.

Die Wayang Kulit-Figuren werden aus gegerbtem Büffelleder hergestellt. Der Kunsthandwerker beginnt mit dem Ausschneiden der äußeren Form und schlägt dann mit kleinen Meißeln die Details heraus. Nach dem Polieren des Pergaments grundiert er die Figur mit weißer Leimfarbe, auf die er dann alle weiteren Farben, die durchweg symbolische Bedeutung haben, aufträgt. Alle Schattenspielfiguren sind streng stilisiert, besitzen kaum noch menschliche Züge. Bei einer Frontalstellung des Körpers wird das Gesicht ausnahmslos im Profil gezeigt; die Beinstellung entspricht der Kopfstellung. Die dargestellten Gestalten und deren Charakter kann der Zuschauer in erster Linie an der Gesichtsform und -farbe erkennen. Bei Göttern und Helden sowie generell bei edlen Gestalten beispielsweise bilden Nase und Stirn eine gerade Linie; die Nase ist dabei fein gezeichnet, die Augen sind geschlitzt. Dämonen dagegen haben runde Glotzaugen und große, knollige Nasen, die mit der Stirnlinie einen Winkel bilden. Eine schwarze Gesichtsfarbe drückt in der Regel Tugend, Reife und Besinnlichkeit aus, eine rote charakterisiert einen aggressiven und leidenschaftlichen Typ, weiß steht für Jugend und Schönheit, eine goldene Farbe betont die Würde der dargestellten Person. Balinesische Schattenspielfiguren unterscheiden sich von javanischen durch eine gedrungenere Form und realistischere Gesichtszüge.

Der Dalang erweckt seine Lederfiguren mittels feiner Hornstäbe, deren Enden er in der Hand hält, zum Leben; die Arme kann er an dünnen Stäbchen bewegen, wogegen die Beine unbeweglich sind. Ein kompletter Figurensatz besteht in der Regel aus rund 300 Figuren.
Ein sehr wichtiges Requisit, das bei keiner Wayang Kulit-Aufführung fehlen darf, ist der javanische Gunungan (Gunung = Berg) oder der balinesische Kekayon (Kayon = Baum), beides Symbole für die Weltachse und damit Hinweis dafür, dass mit dem Schattenspiel eine magische Verbindung zwischen diesseitiger und jenseitiger Welt hergestellt wird. Der Gunungan ist blattförmig und endet oben spitz, der Kekayon dagegen ähnelt mehr einem flachgebogenen Schirm. Vor und nach der Vorstellung sowie in den Pausen stellt der Dalang dieses Requisit in die Mitte vor die Leinwand. Dabei muss die Spitze, den Werdegang des Menschen andeutend, vor Mitternacht nach links, um Mitternacht gerade nach oben und nach Mitternacht nach rechts weisen. Werden Gunungan oder Kekayon im Laufe der Vorführung benutzt, so stellen sie das Feuer dar.
Obwohl die Texte für das Wayang-Spiel längst nicht alle vollständig schriftlich festgelegt sind und der Dalang somit breiten Raum für Improvisationen besitzt, muss er sich doch an ein festes Schema halten.

Wayang-Vorführungen beginnen für gewöhnlich gegen 20 Uhr. Nach der Eröffnung der Aufführung durch das Gamelan-Orchester macht der Dalang in einer langen Einleitung das Publikum mit den auftretenden Personen und dem Ort der Handlung bekannt. Gegen 21 Uhr beginnt dann die eigentliche Vorstellung, die in drei Teile zerfällt: Die erste Phase führt in den Konflikt ein, Probleme treten auf, Argumente prallen aufeinander, der Konflikt entwickelt sich und mündet im ersten Kampf, der jedoch ergebnislos verläuft; während der zweiten Phase (Mitternacht bis 3 Uhr) tritt der Hauptheld auf, wird in Kämpfe verwickelt, doch noch immer zeichnet sich keine Lösung des Konfliktes ab; erst in der dritten Phase (3-6 Uhr morgens) siegt das Gute über das Böse, nachdem die Entwicklung meist in einer gewaltigen Schlacht kulminierte.
Die beliebteste und am häufigsten gespielte Form des Schattentheaters ist das Wayang Purwa, das auf den indischen Epen Ramayana und Mahabharata basiert. Hauptrollen in den hierbei geschilderten Abenteuern spielen neben Menschen auch Götter, Riesen und Dämonen. Einer ganz besonderen Publikumsgunst erfreut sich Arjuna, einer der fünf
edlen Pandava; als eine Inkarnation des Gottes Vishnu gilt er als der javanische Held schlechthin. Gemeinsam mit seinen Streitgenossen bekämpft er das Böse in Gestalt der Kaurava. Drei bedeutende Charaktere sind bei jeder Aufführung vertreten - die sogenannten Panakawan, nämlich Semar und seine beiden Söhne Petruk und Nalagareng, die den bäuerlichen Humor, die Komik in ihrer bodenständigen Art, repräsentieren. Semar tritt für gewöhnlich als Diener des jeweiligen Helden auf, fungiert aber auch als dessen Berater und Helfer. Weitere berühmte Gestalten, die von den Zuschauern sofort erkannt werden, sind der Affengeneral Hanuman, der als unerschrockener Verteidiger des Guten zusammen mit Rama dessen Gattin Sita aus dem Reich des Dämonen Dasamuka (in der indischen Originalfassung Ravana) befreit, sowie Arjunas Bruder Bima, der, obwohl zu den noblen Pandava gehörend, äußerlich eher einem Dämonen gleicht, aber einen grundehrlichen und treuen Typ verkörpert......"


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