Vorbemerkung 2 |
Japaner habe ich meist als sehr höflich, freundlich und hilfsbereit erlebt, auch wenn nur wenige sich trauten, mit mir englisch zu sprechen. Es waren überwiegend junge Leute, die auch hin und wieder von sich aus auf mich zukamen und ihr Englisch ausprobieren wollten. Bei vielen Einheimischen wirkte wohl auch die asiatische Angst, evtl. das Gesicht zu verlieren, wenn man etwas nicht perfekt kann. Das merkte ich vor allem, wenn ich nach dem Weg fragte, z.B. zu einer Jugendherberge, die oft außerhalb der Orte lag. Man zeigte mir manchmal ganz bestimmt eine Richtung, obwohl ich ganz woanders hin musste. Für den Angesprochenen war es wichtiger, nicht zugeben zu müssen, dass er den Weg nicht weiß und so sein Gesicht zu wahren. Ich gewöhnte mir dann an, mindestens drei Leute anzusprechen. Nach einer Weile kam ich dann auf die Idee, mir meine nächsten Reiseziele japanisch aufschreiben zu lassen, die ich dann vorzeigen konnte.
In Japan war ich Analphabet. In Tokio waren wenigstens die meisten U-Bahn-Stationen auch in lateinischen Buchstaben geschrieben. Im übrigen Land gab es höchstens in großen Städten Schilder mit lateinischen Buchstaben.
Als Europäer läuft man auch immer Gefahr, in irgendwelche Fettnäpfchen zu treten. Wir sind es ja z.B. gewohnt, Sachverhalte möglichst direkt anzusprechen. In Japan muss man das viel diplomatischer anstellen, 'durch die Blume' sprechen. Einfach 'nein' zu sagen ist unhöflich, seinen Ärger zu zeigen oder laut zu werden geht gar nicht, damit hat man schon sein Gesicht verloren. Auch ist ein 'Ja' eines Japaners nicht gleichzusetzen mit einem 'Ja' als Zustimmung, wie wir es verstehen. Es kann auch einfach bedeuten: 'Ich verstehe dich' oder 'Ich will mein bestes versuchen'. Es kann auch als höfliche Verneinung eingesetzt werde, wenn z.B. auf die Frage 'Kann ich bitte Herrn Tanaka sprechen?' geantwortet wird: 'Ja, aber er ist heute nicht hier'. Das ist höflicher als einfach 'nein' zu sagen.
Hier zur heutigen Belustigung ein Auszug aus meinem damaligen Japan-Reiseführer: Sitten und Umgangsformen (erscheint in einem neuen Fenster)
In meinen Unterlagen von damals fand ich einige Notizen über Besonderheiten, die mir aufgefallen waren:
Japanische Wohnungen sind klein, aber sehr teuer. Ein Studentenzimmer, ca. 10 m2, kostete in Fukuoka etwa 400,- DM.
Mit meiner Größe (1,87 m) hatte ich meistens Probleme mit der Türhöhe von ca. 175 cm; sehr oft stieß ich mir den Kopf
Es gab überwiegend Hock-Klos und die bereits erwähnten Klo-Schuhe; öffentliche Toiletten waren sehr sauber.
Ofuro, das japanische Bad, dient der Entspannung, man reinigt sich vor dem Bad. Nicht jedes Haus hat ein solches Bad. Dafür gibt es öffentliche Badehäuser. Das Wasser hat eine Temperatur von weit über 40° C.
Überall standen Getränkeautomaten für Wasser, Limonade, Cola, Bier u.a. Ich erinnere mich an eine gelbe Limonade, die den Namen 'Pipi' (in lateinischen Buchstaben) trug - in Europa sicher nicht verkaufsfördernd.
In den meisten Kneipen war Karaoke-Singen sehr beliebt, was bei uns in Deutschland damals noch unbekannt war.
Fußgängerampeln mit 'Musik' oder Vogelgezwitscher, Lastwagen machten beim Rückwärtsfahren laute Piep-Geräusche.
Auf den Schinkansen-Bahnsteigen waren die Wagennummern und die Einstiege aufgezeichnet; die Wagen hielten exakt an dieser Stelle, so dass man direkt einsteigen konnte. Der Ausstieg war an der gegenüberliegenden Wageseite mit einem eigenen Bahnsteig. Die Schinkansen-Züge hielten maximal 1-6 Minuten. Die japanische Bahn gilt als die pünktlichste der Welt - die Deutsche Bahn muss sich im Vergleich schämen. Von Tokio nach Osaka (ca. 514 km, ca. alle 30 Minuten) benötigt der Hikari-Shinkansen etwa 2 Stunden 40 Minuten
Restaurants zeigen ihre angebotenen Speisen in kunstvollen, echt wirkenden Nachbildungen aus Wachs oder Kunststoff (Shokuhin sanpuru, dt. „Lebensmittelbeispiel“). So kann man sich vor dem Betreten des Lokals sein Essen aussuchen. Ich hatte nur manchmal das Problem, dass vor allem in kleineren Esslokalen die Bedienung sich nicht traute, mich anzusprechen. Ich erinnere mich an ein Lokal - ich glaube, es war in Nagasaki, wo das gesamte Personal blitzschnell in der Küche verschwand, als ich den Raum betrat. Nach einer gewissen Zeit guckte dann jemand verschämt um die Ecke, ich konnte ihm zuwinken, er verschwand aber wieder, dann wurde wohl der Lehrling ins Lokal geschubst. Dieser kam ganz verschämt und unsicher zu mir, ich winkte ihn nach draußen ans Schaufenster und zeigte ihm meinen Essenswunsch.
Reiseschecks einzutauschen war sehr umständlich; es mussten Formulare ausgefüllt werden, die dann von mehreren Entscheidungsträgern gegengezeichnet wurden. Auch beim Geldwechseln hatte ich ein lustiges Erlebnis: Die Bank lag im 7. oder 8. Stock, ein Fahrstuhl brachte mich nach oben. Die Fahrstuhltür ging auf, und ich landete direkt vor einem Empfangstresen mit zwei jungen Empfangsdamen. Sie starrten mich erschrocken an, und plötzlich verschwanden beide hinter dem Tresen und waren nicht mehr zu sehen. Ich trat näher - und da hockten sie auf dem Boden und kicherten und prusteten und kriegten sich gar nicht wieder ein. Erst nach einer gewissen Zeit waren sie wieder ansprechbar. Ich muss für sie wohl sehr komisch ausgesehen haben (Vollbart und ziemliche Haarpracht.
Beliebteste Lektüre schienen Comics zu sein
Jede Schule hat eigene Schuluniformen
Ältere Frauen arbeiteten im Straßenbau oder als Müllsammlerinnen
Japanische Frauen sprechen eine andere Sprache als Männer. "Im
Japanischen spielt das Geschlecht des Sprechers eine wichtige Rolle in der
Wortwahl und sogar der Satzstruktur. Frauen und Männer verwenden auch
verschiedene Wörter je nach sozialem Status, Alter und anderen Faktoren. Es
gibt für alle Sprecher ein komplexes System der Höflichkeit und Formalität.
Frauen tendieren dazu, höflichere Formen als Männer zu benutzen.....
Weibliche Sprecher benutzen höfliche Sprachformen öfter, vermeiden es,
respektvolle Anreden auszulassen, benutzen 'weibliche' Wörter, benutzen
Formen, die die Sprache weicher erscheinen lassen und sprechen in künstlich
hoher Stimmlage...."
(Quelle und weitere Informationen:
https://de.wikipedia.org/wiki/Geschlechtsunterschiede_im_gesprochenen_Japanisch)
Dies fiel mir auch bei meiner Bekannten Yoshie (die ich bereits in Detmold kennengelernt hatte und dann 1984 in Kyushu besucht habe) auf. Mit mir redete sie ganz normal. Sobald sie mit jemandem am Telefon sprach, wurde ihre Stimme piepsig und kindlich. Auf meine erstaunte Frage erklärte sie mir, dass Frauen in Japan eine eigene Sprache haben und vor allem Unbekannten gegenüber 'sich klein machen müssen' als Zeichen der Ehrerbietung.
In den meisten Jugendherbergen gab es abends meistens ein 'Meeting', d.h. man traf sich zu Gesprächen oder gemeinsamen Spielen. Manchmal war es ganz nett, man lernte Gleichgesinnte kennen, mit denen man dann am nächsten Tag gemeinsam Besichtigungen machte. Oft gab es aber auch kindische Spielchen, die ich aufgrund meiner Sprachunkenntnis nicht verstand. Dann machte ich lieber mein eigenes Abendprogramm, indem ich z.B. spazieren ging. In einer an einem See gelegenen Jugendherberge hätte ich beinahe eine Revolution gestartet: In meinem Schlafraum waren noch 4 oder 5 weitere Personen (Studenten) untergebracht. Mit denen konnte ich mich ganz gut englisch unterhalten. Ich sagte ihnen, dass ich zu dem abendlichen 'Meeting' nicht kommen würde und lieber am See spazieren gehen wollte. Sie erklärten, dass sie auch keine Lust hätten, diese dämlichen Spielchen mitzumachen und lieber mit mir mitkommen wollten. Als wir gerade gehen wollten, erschien der Herbergsvater. Als er erfuhr, dass wir sein Meeting nicht besuchen wollten, hielt er den Studenten eine gewaltige Standpauke. Sie seien schließlich stolze Japaner mit einer großartigen Kultur, und die Europäer würden Japaner sowieso nicht verstehen, erst recht nicht ihre Kultur. Er verdonnerte sie geradezu, an dem Meeting teilzunehmen, mir gestand er sozusagen 'Narrenfreiheit' zu. Alle gingen etwas geknickt, aber brav zum Meeting, ich aber wanderte am See. Später haben sie mir das übersetzt, was ihnen der Herbergsvater gesagt hatte.