Zwangsarbeiter aus Belgien - 6


Im Lager Meschede


Aus dem Buch von E. Ch. Michiels (S. 90 - 94):

"Kirchliche Angelegenheiten in Gefangenschaft
Es gab eine Baracke im Lager, die als Kapelle eingerichtet und benutzt wurde. Die Messe wurde täglich von einem französischen Priester und zweimal am Sonntag von einem deutschen Priester gehalten. Um etwas 'religiösen' Mut zu schöpfen wurde die Messe dann regelmäßig auch von vielen deportierten Gefangenen besucht. Unpassend jedoch war die Anwesenheit von bewaffneten Deutschen." (S. 90)

Beschimpfungen, Misshandlungen, körperliche Bestrafung, Todesdrohungen, ...
Dass die deutschen Wachen rücksichtslos und brachial auftraten und bei geringstem Anlass Körperstrafen austeilten, können wir von den zahllosen Beschwerden unserer deportierten Jungs ableiten. Mehr als die Hälfte der Männer erklärten durchgängig, bisweilen täglich eine Tracht Prügel im Lager Meschede bekommen zu haben, in der Regel mit dem Gewehrkolben, wovon Spuren manchmal Jahre später noch sichtbar waren. Tagtäglich habe jemand eine Tracht Prügel bekommen, 'einfach so', weil die Wachen ihren Spaß hatten, aber die meisten Quälereien bezweckten, die Deportierten 'offiziell' anzuwerben, einen Arbeitsvertrag zu unterzeichnen.
Die unerträglichste und am häufigsten vorkommende Misshandlung, die 'an der Reihe war', war, dass sie 3 bis 5 Tage ohne Essen oder Trinken in einer Baracke eingesperrt wurden, ohne Tisch oder Stuhl, nur ein Bretterboden. Mehrmals mussten sie Stunden draußen im Schnee und bei Eiseskälte im 'Glied stehen' ... mit nackten Füßen. Sie wurden auch regelmäßig mit dem Tod bedroht..." ( S. 91)

Michiels beschreibt dies anhand mehrere Personen. Besonders eindrücklich ist die Geschichte von Hendrik Celis:

"Henri Celis hatte weniger Glück...

Als Kind war Hendrik oder Henri stets ein fleißiger und intelligenter Schüler, aber zu der Zeit wurden junge Bauernsöhne schon im Alter von 14 an die Arbeit geschickt. Seine Eltern, August Celis und Theresia Willemaerts hatten zwar einen kleinen Bauernhof mit vier Kühen und drei Hektar Land zu bearbeiten, aber ein zusätzliches Einkommen war immer willkommen für eine kinderreiche Bauernfamilie.
Henri wurde also Knecht bei Herrn Duvuvier, einem wohlhabenden 'Armee-Oberst', der in der Tympelhoeve lebte, direkt gegenüber der Kirche von Willebringen.
Nach einem Streit mit der Frau des Hauses arbeitete Henri als 'Mahlgehilfe' in die Mühle von Alexander Wits, auch in Willebringen. Bald lernte er das Handwerk kennen und arbeitete dort jahrelang für Kost und Logie und 60 fr. pro Monat Lohn, den er 'ablieferte, um seinen Eltern zu helfen'!
Henry brachte das Geld in die Bauernfamilie von der Dorpstraat in Willebringen; für seine Eltern, zwei jüngere Schwestern und seinen 13 Jahre alter Bruder, der noch bei ihnen lebte. Drei weitere Kinder waren alle verheiratet und aus dem Haus. Währenddessen kämpfte sein Bruder Eduard Francois Celis im Regiment der Karabiniers gegen die Deutschen an verschiedenen Fronten.
Henri war damit der Verdiener zu Hause.
Aber nicht mehr lange, weil er 'vor der Hochzeit stand'! Er hatte Pläne, mit seiner künftigen Frau Blondine eine Mühle in Melin zu übernehmen, etwa 13 km südlich in Wallonien. Er wollte Müller werden!

Aber ... am 21. November 1916 wurde der 28-jährige Henri Celis, zusammen mit 37 anderen aus Willebringen aufgefordert und nach Deutschland deportiert, um zur Arbeit verpflichtet zu werden. Sie wurden von den Deutschen Besatzern in das Lager Meschede deportiert, zunächst, um sie einen Vertrag unterzeichnen und später Zwangsarbeit leisten zu lassen.
Henri ließ das nicht einfach so 'mit sich machen'. Es war hartnäckig und ausdauernd, ... das sollte ihm schnell zum Verhängnis werden.
Henri Celis starb am 28. Dezember 1916 in der Krankenstation des Lagers Meschede in Deutschland, er war kaum 5 Wochen von zu Hause fort! Nach Angaben der Deutschen war er 'durch Krankheit' verstorben... aber die wahre Geschichte war, dass er durch Hunger, Kälte und vor allem Prügel so geschwächt war, dass er dadurch schließlich erlag.
Sein Vater August erklärte: 'Mein Sohn hat nie für die Deutschen arbeiten, noch vor der deutschen Obrigkeit kuschen wollen; durch Ungehorsam gegenüber der deutschen Obrigkeit wurde durch vielfältige Entbehrungen sein Tod verursacht.'

Auch Alfons THEUNIS und Gustaaf Willemaerts, seine Gefährten in Meschede, bezeugten das gleiche:
1) dass Henri Celis am selben Datum und gleichzeitig mit ihnen nach Deutschland deportiert worden ist;
2) dass er nie für die deutsche Obrigkeit arbeiten noch einen Arbeitsvertrag unterzeichnen wollte;
3), dass er in Meschede offensichtlich an den Auswirkungen der Entbehrungen, die von seinem Ungehorsam gegenüber der deutschen Obrigkeit herrührten, gestorben ist.

Auszug aus dem Register der Stadt Meschede (Westfalen-Deutschland) Sterbeurkunde Nr. 167.

1916, den 28. Dezember, sind vor uns erschienen Harling Lausen, Beamter der Zivilverwaltung der Stadt Meschede, der Chefarzt vom Lazarett des Lagers Meschede, Arzt des Verstorbenen, die uns berichtet haben, dass der Belgische Bürger Henry Celis, Müllerbursch, 28 Jahre alt, geboren in Willebringen und dort beschäftigt, unverheiratet, Sohn von Herrn Auguste Celis und Frau Theresia Willemaerts, Bauern, beide wohnhaft in Willebringen, im Militärlazarett Meschede am 28. Dezember 1916 morgens um 4 Uhr verstorben ist.
Für Belgien gestorben (Erlass vom 16.4.1919 Absatz 2 Art. 1 Seite 561 der Gesetzessammlung von 1912)

Henry wurde auf dem Lagerfriedhof in Meschede begraben und liegt da immer noch. Seine Leiche wurde nie nach Belgien zurückgeführt, weil es emotional zu schwer für seine untröstliche Mutter war, ihn wieder ausgraben und auf den Friedhof von Willebringen überführen zu lassen!
Henri Celis ist dann auch der einzige der 184 Deportierten aus Boutersem, der irgendwie auf einem Kriegerdenkmal aus dem Ersten Weltkrieg aufgeführt ist. Henri Celis Name ziert eine Gedenksäule in einem Park vor dem heutigen "Gemeindehaus" und Kindergarten in Willebringen." (S.93)

"... Zum Glück waren nicht alle Lagerwachen so sadistisch, und es gab sogar 'gute Deutsche' dazwischen, aber das war eher die Ausnahme.
Zu Beginn des Krieges war ein 'guter' deutscher Soldat bei der Familie Celis in Willebringen einquartiert!
'Er war ein freundlicher Mann, und er brachte seine Verpflegung von der Truppe mit, auch Futter für unsere Schweine. Er durfte deshalb auch mit meiner Großmutter am Tisch essen. In der Weihnachtszeit erhielt der einquartierte Soldat ein Paket aus Deutschland mit einem echten kleinen Weihnachtsbaum darin. Bei uns in Willebringen kannte man die Weihnachtsbaumtradition noch nicht, und alle kamen, um einen Blick darauf zu werfen!' So Hilda Celis, deren Großonkel in Meschede starb!" (S. 94)


Donald Buyze, der Forscher aus Westflandern (s. 'Zwangsarbeiter aus Belgien - 2' unten), hat mir eine Namensliste von Belgischen Zivilarbeitern zugeschickt, die im Lager Meschede 1916/17 verstorben sind. 107 Namen stehen darauf, u.a. auch Henri Celis.

Die Namenliste kann hier aufgerufen werden: Belgische Zivilarbeiter in Meschede gestorben


 

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